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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 7.1915

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Heft 13/14
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Friedeberger, Hans: Ausstellung von Werken deutscher Meister aus Privatbesitz bei Fritz Gurlitt - Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.26376#0282

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AUSSTELLUNG VON WERKEN DEUTSCHER MEISTER BEI FRITZ GURLITT-BERLIN

wendet wird. Im Anfang ift es die Linie wiederholter, meift gleich hoher Köpfe,
find es, ganz altklaffifch, Rückfiguren am äußerften Bildrande, die die Ordnung des
Bildes und die Leitung des Befchauers übernehmen. In diefen Randfiguren kommt
auch bei den frühen Bildern das Streben nach Monumentalität zum Ausdruck, indem
fie vorn zu folcher Größe gefteigert find, daß fie den Rahmen zu fprengen drohen.
Und hier liegt der Zwiefpalt, der einige der wichtigften Bilder um ihre befte Wirkung
gebracht hat: Diefe Steigerung der Figur drückt den Raum, der doch, der ganzen im-
preffioniftifchen Anfchauung wie dem Liebermannfchen Ordnungsprinzip der Tiefenbildung
zufolge, feine befondere und herrfchende Wichtigkeit behält, zurück, anftatt ihn zu
verleugnen. Es war auf diefer Ausftellung an den Studien der Netjflickerinnen (Guftav
Hempel) und des Waifenhaushofes (W. v. Bode) zu ftudieren, wie nur der Gegenfalj
von Raumwirkung und Figurenmonumentalität das Hamburger und das Frankfurter
Bild auseinandergeriffen hat. Bei dem Waifenhausbilde hat zudem auch die Farbe
eine Umwandlung ins Kühle, Abftrakte durchgemacht, während fie auf der Bodefchen
Skizze warm, reich und fehr empfunden wirkt. Und von hier aus, nicht von den
fertigen Bildern, geht die fpäte, die reine Liebermannfche Monumentalität aus, die
durchaus eine Monumentalität des Raumes ift, dem fich die Figuren unvordringlich ein-
gliedern. Begünftigt wird fie durch eine ftarke Vereinfachung der Form wie der Farbe.
Die eingehende Einzelcharakteriftik der Konfervenmacherinnen weicht immer mehr einer
fparfamen Hervorhebung weniger typifcher Formen und auch die Farbe zeigt diefelbe
Entwicklung: wie er fchon in der Zeit der fchweren Töne mehr den Reichtum des
Valeurs gefucht hat, als den der Farbe, — und das freilich fo fehr, daß man ihm den
Gegenfag diefes blendenden und funkelnden Reichtums zu der Ärmlichkeit des Vor-
wurfes gelegentlich als innere Unwahrheit Vorhalten durfte — fo hat er auch in den
neunziger Jahren, wo feine Palette hell und farbig zu werden begann, darauf ge-
halten, mit wenigen, nicht ftarken Farben auszukommen. Die Vereinfachung geht da-
bei freilich nur bis zu einer gewiffen Grenze; vor dem Ton macht fie Halt, ja hier
fpürt man faft von Jahr zu Jahr eine Bereicherung an Brechungen und zugleich auch
ein ftärkeres Schwingen der Empfindung. Faft niemals fucht er aus Anordnungs- oder
Stimmungsgründen die Ausbreitung einer abftrakten Farbe. Nur feiten einmal, und
dann immer nur in kleinen Partien, taucht ein Fleckchen auf, wo eine an fich fchöne
Farbe rein verwendet ift. Aber gerade diefe fpäteren Bilder, etwa das Haus in Nord-
wijck bei Stadtrat Ring, die Tennisfpieler bei Ph. Freudenberg und die Reiter am
Strande bei Gurlitt find die reichften und empfundenften und zugleich die monumen-
talften Leitungen der Liebermannfchen Kunft.

Kommt man von Liebermann zu Corinth, fo ift das Fehlen diefer Stetigkeit und
Einheitlichkeit das erfte, was man ftark empfindet. Neben Dingen von einer Wucht
und einer elementaren Saftigkeit, daß Liebermann für einen Augenblick elegant und
erklügelt dagegen erfcheinen kann, ftehen im Werke Corinths Arbeiten, die mit der
akademifchen Routine der Formung bei der derben Sinnlichkeit der Empfindung wie
Grimaffen anmuten. Man fpürt einen Riß, ohne doch zunächft finden zu können, wo
er fteckt. Und man geht mit doppelt angefpannten Sinnen auf die Jagd. Wenn man
mit Liebermann vergleicht, fo fällt zweierlei an den Corinthfchen Bildern auf: die
ftarke Betonung des Stillebenhaften, die bei Liebermann zu keiner Zeit vorhanden
war, und die Häupgkeit von Bildern (und namentlich Hiftorien) mit wenigen großen
Figuren. Es ift der Ausdruck eines Gegenfatjes, den man etwa als den von Hand-
werk und Dichtung, von Sinnlichkeit und Idealität bezeichnen könnte. Und wäh-

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