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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 3
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Giedion, Sigfried: Le Corbusier und das neue Bauen
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0104

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Le Corbusier Villa d’Avray. ig28/<29. Ansicht des Neubaues

willen der Zeit, die sie hervorgebracht hat. Der Skelettbau, der an Stelle der tragenden
Wände ein Gerüst setzt, gibt die Möglichkeit einer bisher unbekannten Lichtzufuhr.
Was die Riegelbauten der Spätgotik, die Wohnhäuser Lloyd Wrights angetönt hatten,
verwirklicht der sinngemäß gestaltete Skelettbau. Merkwürdig, wie in einem gegebenen
Zeitpunkt die Forderungen der Biologie und der Konstruktion zusammenfallen.

Das Fenster erhält eine Wichtigkeit wie kaum zuvor. Ohne weiteres können bei Skelett-
konstruktionen breite — je nach der Stellung der Stützen —■ auch die ganze Fassade
liorizontal durchschießende Offnungen entstehen. Gleichzeitig erkannte man: Wir
liaben für diesen Fall noch gar keine brauchbaren Fensterkonstruktionen. Die üblichen
Flügelfenster beruhen auf ganz anderen Voraussetzungen. Sie können im besten Fall
Notbehilf sein. Die vertikalen Schiebefenster, wie sie Holland, England, Amerika ver-
wenden, gleichgültig ob sie nach oben zu verschieben oder zu versenken sind, gehen
gleichfalls mit dem Prinzip des Einzelfensters, wie es durch die Ziegel- oder Hausstein-
mauer bedingt ist, zusammen. Aus dem Sinn der neuen Hauskonstruktion entwickelt
Corbusier das horizontale Schiebefenster, das sich entsprechend der entstehenden Wand-
öffnungen verscliieben läßt. Sogar in der kritischen Behandlung, die die Reiclis-
forschungsgesellschaft für Wirtschaftliclikeit im Bau- und Wohnungswesen der Weißen-
hofsiedlung Stuttgart 1927 zuteil werden läßt, hebt sie unter den Konstruktionen, die
sicli bewährt haben, die Schiebefenster Corbusiers als einzige hervor (S. 154). Es scheint
uns außer Zweifel zu stehen, daß die ganze Entwicklung nach dem horizontal ver-
schiebbaren Fenster tendiert. Allerdings die Industrie hat den Architekten bis jetzt im
Stich gelassen. Sie hat viel nachzuholen.

Bekanntlich geht die Forderung lieute noch weiter: Große Bureau- und Warenliäuser
überhaupt oline Fenster zu machen. Doppelte Glaswände, die ein Luftstrom je nach
Bedürfnis erwärmt oder kühlt. Corbusier verwirklicht das augenblicklich in einer
Pariser Fabrik und im Centrosoyus (Moskau) werden Versuche gemacht.

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