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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 3
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Giedion, Sigfried: Le Corbusier und das neue Bauen
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0103

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Stand für den »Salon d’Automne« 1929. Er wird die gesamten im Augenblick
durch die Industrie in Frankreich zurVerfügung stehenden Standard-Kästen und
Möbel entbalten Entwiirfe von Le Gorbusier, Pierre Jeanneret und Mnie. Perriand

man auf die Form legte, anstatt auf den Produktionsvorgang, bald in eine Sackgasse.
Die schwierige Lage, in die der Werkbund allmählich gelangt, erklärt sich aus dem
Zwiespalt, der notwendig zwischen der ursprünglicli kunstgewerblichen Richtung — die
die Mehrzahl seiner Mitglieder vertritt — und der Erkenntnis der Leiter liegt, die
seit iangem sehen, daß das Kunstgewerbe nicht lebensfähig ist.

Corbusier ordnet sich mit seiner Definition: »Agir par construction spirituelle« der
vornehmsten französischen Tradition ein von Henri Labrouste, Tony Garnier bis zu
Auguste Perret. Wir können unsere schon früher geäußerte Auffassung an Händen des
neuen Werkes bestätigen: Wie keiner vor ihm, vermochte Corbusier das von der
Wissenschaft überantwortete Skelett von Eisenbeton zum Klingen zu bringen. Wir
meinen nicht seine Formgebungen. Wir meinen die Fähigkeit, mit der er die Kon-
struktion, das Gerüst in neue Wohnfunktion umzudeuten wußte. Die Umdeutung
der hageren Konstruktion aus Eisenbeton in die durch Zeit und Willen geforderte
Neugestaltung der Wohnung nennen wir das eigentlich Produktive an der Corbu-
sierischen Leistung.

Der Eisenbeton mag überwunden werden. Corbusier selbst verwendet für die jetzt
zum erstenmal veröffentlichten Häuser, Typ Loucheur, fertig montierbare eiserne
Stützen. Das Entscheidende ist, daß von Anfang an mit den handwerklich geschichteten
Mauern gebrochen wird, die unsere Häuser zu ekelhaften Gefängnissen maclien. Nicht
die Formverbesserung ist das Entscheidende, sondern die Konstruktionsmethode. Sie
erst gibt die Möglichkeit zu einer Neugestaltung des Hauses.

Es ist unsere Überzeugung, daß neugeschaffene Konstruktionsmöglichkeiten nicht nur
durch »Rechnung« entstehen, sondern ebensosehr durch Intuition. Sie stehen in einem,
wenn auch schwer nachweisbaren inneren Zusammenhang mit dem Gestaltungs-

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