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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 3
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Giedion, Sigfried: Le Corbusier und das neue Bauen
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0107

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empfindlich die Ruhe der Akademie und des geschäftsmäßigen Architekturbetriebes.
Ob Oud in der Stille des Rotterdamschen Wohnungswesens kämpfte, ob Corbusier
durch die hundertköpfige Akademie, die alle Mittel der Intrige, Politik, Protektion zur
Yerfügung hat, um die Frucht seiner Arbeit (Völkerbund) gebracht wurde, oder ob
Gropius in seiner Bauhaustätigkeit bis aufs Blut gehetzt wurde, das alles sind nur Er-
scheinungen des gleichen Widerstandes. Es scheint uns, als oh die Kämpfergeneration,
die der Bewegung zum Durchbruch half, die schwerste Arbeit geleistet hat. Es ge-
nügte nicht, Pläne zu zeichnen und sich zurückzuziehen, sondern es war durchaus Er-
fordernis, zugleich Agitator in irgendeiner Form zu sein. Es ist keiner in dieser
Generation, den man nicht mit den demagogischesten Mitteln zu erledigen trachtete.
Es ist nicht gelungen, clenn im Grunde ist der positiv Wollende immer stärker als der
hinter dem Wagen Herkläffende. Aber es hat natürlich Kräfte gekostet.

Die d ritte Generation: Zum ruhigen Arbeiten, ohne Manifest, ohne Agitation,
kommen erst die heute Dreißigjährigen. Gewiß wird es noch einige Zeit dauern, bis
an allen Orten die Behörden begriffen haben, was lieute Erfordernis ist. Man wird
auch weiterhin versuchen, sei es durch die Zusammensetzung der Preisgerichte, sei es
durch ästhetische Verordnungen, die Entwicklung zu erschweren. Der Nachwuchs
weiß genau, daß die Zeit für ihn arbeitet. Die eigentliche Kämpfergeneration hat den
Weg frei gemacht. Der Zustrom kommt von allen Seiten, er hat die breite Masse er-
reicht. Es regt sicli bis in die Behörden, und die Zeichner in den Bureaus der Hausstein-
architekten werden unwillig.

Während dieFührer der vorigen Generation fast durchgängig die Schulen flohen, haben
die meisten Vertreter der Jungen den geordneten Studiengang der technischen Hoch-
schule hinter sich — allerdings stand z. B. in Zürich bereits ein Lehrer wie Karl Moser
zur Verfügung — die Bewegung wird in kurzer Zeit den Gang einer selbstverständ-
lichen Entwicklung annehmen.

Einer der Führer, Mart Stam, noch nicht dreißigjährig, steht bereits -—- noch dazu im
Ausland — im regulären Baubetrieb. Es hätte für einen 29jährigen Corbusier wohl
kein Hochbauamt gegeben, das für ihn eingestanden wäre.

Die sogenannte Kämpfergeneration ist im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts auf-
gewachsen. Für sie ist weder der Begriff der Akademie noch der der Romantik ein
Jugendkomplex. Diese Dinge waren bereits überwunden. tJbriggeblieben war davon
eine gewisse Hinneigung zu formaler Haltung. Sie äußert sich etwa bei Oud im Glauben
an eine ewige Klassik, bei Gropius in einer Neigung zum Repräsentativen, bei Cor-
busier in einer Hinneigung zum Asthetischen.

Die Jungen scheinen auch diesen Rest des 1 9. Jahrhunderts überwunden zu haben. Sie
brauchen nicht viel nach Asthetik zu fragen, es genügt ihnen der Segen, der in der
wirtschaftlichen Einordnung liegt. Allerdings besteht die Gefahr eines engen oder
hochmütigen Zurückziehens auf das Plänezeichnen und einer Überschätzung der Funk-
tion der Architektur.

Corbusier und andere haben vor ihnen gezeigt, wie man das Haus auf eine neue kon-
struktive Basis bringt, die sich mit den biologischen Forderungen trifft. Nun gilt es,
diese biologisclien Forderungen nach allen Richtungen liin auszuforschen und ihnen
bauliche Gestalt zu geben.

Bedingung dafiir sclieint allerdings zu sein, daß diese Generation nicht irii Fachlichen
stecken bleibt, sondern sich mit den lebendigen Äußerungen auf allen anderen Ge-
bieten verschneidet. Nur auf diese Weise w rird sie ilire Rolle wirklich ausfüllen können.

*

Nach diesen Voraussetzungen ist es möglich, kurz die Frage der Ästhetik im Corbusier-
schen Werlc zu berühren, gegen die der Nachwuchs Sturm läuft. Man versteht die

Y Der Cjcerone, Jahrg. XXTT, ITeft 3

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