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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 4
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Mackowsky, Hans: Ausstellung italienischer Kunst in London
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0120

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liätte die Macht und die Mittel geliabt, ein ähnliches Unternehmen ins Leben zu rufen
und durchzuführen.

Erstaunlich bleiht auch die Schnelligkeit, mit der eine so große Arbeit geleistet worden
ist. Erst im Mai des vorigen Jahres haben die entscheidenden Unterredungen zwischen
Lady Chamberlain, die an der Spitze des ausfülirenden Komitees stand, und Mussolini,
der mit weitem Blick sofort die nationale Bedeutung des Unternehmens erkannte und
es mit seinem ganzen Einfluß förderte, begonnen. Ettore Modigliani traf die Auswahl
in Italien, und überallhin flogen die Einladungen zur Beteiligung. Wenige haben sich
zurückgehalten, am meisten der englische Ilochadel, der sich nicht in allen Fällen von
seinem Besitz hat trennen wollen, ob auch der König mit bekannter Großherzigkeit
ein Beispiel gab. Der Kunsthandel ist bis auf ganz wenige Proben, auf die aus künst-
lerischen Gründen nicht verzichtet werden sollte, beiseite gelassen worden. Ein aus-
führlicher und wissenschaftlich aufschlußreicher Katalog (unter der Generalredaktion
von W. G. Constable) ist rechtzeitig erschienen, ergänzt durch ein hübsch ausgestattetes
Heft mit guten Abbildungen hervorragender Stücke der Ausstellung. Man hat alles
getan, um dem Laien wie dem Forscher mit zuverlässigem Material zur Hand zu
gehen. Und schließlich war man noch vom Wetterglück begünstigt, indem dieser
Londoner Winter schon eine Reihe heller und sonniger Tage heraufgeführt hat, die
Genuß und Studium der Kunstwerke nicht illusorisch machen und einen, wenn auch
nur schwachen Abglanz des Lichtes herbeizaubern, in dem diese Welt der Kunst ent-
standen, gereift ist und das Auge entzückt.

Das Hängekomitee wird schwere Mühe gehabt haben, die Fülle in den doch beschränkten
Räumlichkeiten übersichtlich zu hergen. Von einer zeitgemäß musealen Anordnung,
hei der sicli die Bilder nicht neben- und übereinanderdrängen, mußte man notwendiger-
weise von vornherein absehen; auch die strengere Sonderung nach Schulen, Zusammen-
stellung der Hauptmeister mit den Arbeiten ihrer Schulnachfolge war nicht durchzu-
führen. Vielleicht wäre dies nur bei einer strengsten Auswahl möglich gewesen und
vor allem bei gänzlicher Ausschaltung der einen ganzen Raum für sich beanspruchenden
italienischen Kunst des l 9. Jahrhunderts, auf die aber das nationale Selbstbewußtsein
nicht verzichten wollte. Dennoch wird jeder Unbefangene diesen Raum außer jedem
Zusammenhang mit der in sich abgeschlossenen, von Jahrhundert zu Jahrhundert sich
logisch entwickelnden Kunstentfaltung als belangloses Anhängsel empfinden. Wo laufen
die Fäden, die diese Kunst eines Segantini, eines Dellcani, Michetti, Favretto, Marco
de Maria, um nur einige, in Deutschland bekanntere Namen zu nennen, mit den Vor-
fahren verbinden?

Natürlich läßt sicli, wie bei jeder solchen Übersicht, die einer Anthologie ähnelt, über
die Auswahl streiten. Nicht alle Erwartungen sind befriedigt, nicht alle Wünsche er-
füllt worden. Die frühe florentinische Kunst hätte der gleichzeitigen sienesischen und
venezianischen gegenüber gewichtiger auftreten können. Von Raffael hätte man statt
der strittigen, freilich selir volkstümlichen Donna velata lieber eine der großen späten
Madonnen gesehen, von Perugino, der nur kümmerlich vertreten ist, am liebsten das
Altarwerk aus Villa Albani. Leonardo und Michelangelo als Maler sind nur in aller-
dings herrlichen Zeichnungen zu genießen, von Giorgione wäre das Urteil Salomos
(Kingston Lacy) eine hochwillkommene Gabe gewesen, von Sebastiano vermißt man
das Meisterporträt Carandolets liier in London. Und nachdem die Ausstellung so \ or-
bildliches getan hat, weit zerstreute Predellenstücke, wie die kostbaren Staffelbilder
von Domenico Venezianos Uffizien-Madonna oder den nach Paris (zu A. Fauchier
Magnan) versprengten rechten Teil von dem in Edinburgh bewahrten Hauptstück
Tiepolos mit der »Findung Moses« wieder zu vereinigen, weshalb versagte sie es sich,
den Quaratesi-Altar von Gentile da Fabriano, dessen Mittelbild der König in die National
 
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