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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 6
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Erdmann, Kurt: Zur Frage der ältesten orientalischen Teppiche
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0180

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weisbarer Besonderheiten der Technik übereinstimmt, so daß wir ohne Zweifel in
ihm ein zweites Exemplar jener frühen Gattung orientalischer Teppiche vor uns haben,
von der bisher nur das Berliner Stück bekannt war.

In der Gliederung stimmt er mit diesem durchaus überein. Er ist intakt und umfaßt
allerdings nur zwei Felder, entspricht also den Teppichen, die auf vielen italienischen
Bildern über die Fensterbrüstungen der Häuser gelegt sind. In jedes der quadratischen
Felder ist wie bei dem Berliner Teppich ein achteckiges Feld eingezeichnet, das hier
einen besonderen, dekorierten Konturstreifen hat, der bei dem Berliner Teppich fehlt.
Als Muster sind dieselben reziproken Hakenzinnen verwendet, wie in den Zwickeln
des Gegenstückes. In den Zwickeln erscheint dementsprechend das Zinnenmuster
doppelt. Die Bordüre ist etwas reicher behandelt, entspricht aber der des Berliner
Stückes. In beiden Fällen besteht sie aus einem etwas breiteren Hauptstreifen in der
Mitte, zwischen zwei schmäleren Begleitstreifen außen und innen. Die Begleitstreifen
zeigen beide das gleiche Muster, das von dem des Hauptstreifens verschieden ist. Un-
schwer erkennt man die liegenden Doppelspiralen mit abzweigenden Halbpalmetten
wieder, die auf dem Berliner Teppich die Hauptbordüre füllen. Das schwer zu deutende
Muster des mittleren Streifens findet sich ähnlich bereits im inneren Begleitstreifen
eines der bekannten Teppiche aus der Moschee Ala ed-din in Konia und läßt sich in
vereinfachter Form gelegentlich auch auf späteren »IIolbein«-Teppichen nachweisen.
Es ist also wohl beglaubigt. Abweichend und in der Zeichnung befremdlich ist allein der
Dekor der F’elder. In beiden sind zwei stehende Vögel an einem Baum affrontiert.
Die Krone des Baumes ist aus geometrischen Figuren zusammengesetzt und wird am
Fuß des Stammes symmetrisch wiederholt, so daß man das Ganze als Affrontation
zweier stehender Vögel an einem Baumstamm mit gegenständigen Kronen bezeichnen
könnte. Die Stilisierung ist sehr weit vorgeschritten, zeigt aber in Einzelheiten, wie
etwa den hakenförmigen Schwanzfedern unmittelbare Verwandtschaft mit der Zeich-
nung des Berliner Teppichs. Ebenso ist die Wiedergabe der Körper durch rechteckig
konturierte, farbig gefüllte Flächen in beiden Teppichen gleich. Während jedoch bei
dem Berliner Stück der Dekor der beiden Felder gleich ist, abgesehen von kleineren
Abweichungen in der Zeichnung, die sich daraus ergaben, daß der Knüpfer nicht
nach einem Karton arbeitete, wechseln bei dem Stockholmer die Farben: der Vogel,
der im oberen Feld rechts steht, steht im unteren links und umgekehrt.

Das Muster der an einem Baum affrontierten Vögel ist im Kreis der frühen Tier-
teppiche keineswegs unbekannt; unter den aus den Darstellungen auf italienischen
Bildern belegten Exemplaren dieser Gattung nehmen Teppiche mit einem solchen
Vogelmuster weitaus den größten Raum ein (Abb. 5). Mit diesen stimmt der Stock-
holmer Teppich aber nur in dem an sich ja uralten Kompositionsschema überein; die
Zeichnung des Baumes ist anders, gewissermaßen bei aller Stilisierung naturalistischer,
indem sie nicht mehr von einer formelhaften Abbreviatur des Begriffes Baum ausgeht,
sondern ein reales Vorbild verarbeitet. Ebenso sind die Vögel nicht mehr nach einem
im Grunde heraldischen Schema sondern nach der Natur stilisiert. Einzigartig und in
keinem zweiten Beispiel belegbar ist die Verdoppelung der Krone.

Der neuaufgetauchte Teppich bietet also ein interessantes Problem. Die frühen Tier-
teppiche, deren Entwicklung sich nur noch an Hand ihrer Darstellungen auf abend-
ländischen Bildern verfolgen läßt, werden um 1400 von einer neuen Gattung abgelöst,
die wohl auf östliche, vermutlich ostasiatische Anregungen zurückgeht. Das mit diesen
Teppichen auftretende Muster des Drachen-Phönix Kampfes ist im Vergleich zu den
bisher verwendeten Formen ästhetisch befriedigender und hat sie daher offenbar rascli
verdrängt. Nach 1450 kommen nur noch sehr selten Teppiche mit den alten Mustern
auf Bildern vor. Da andererseits an der Zusammengehörigkeit der beiden erhaltenen

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