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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 7
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Kuhn, Alfred: Vier polnische Plastiker
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0222

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Edward Wittig

Y I E R POLNISCHE PLASTIKER

VON ALFRED KUHN

Die plastische Begabung, dem Romanen in die Wiege gelegt, ist weder dem Menschen
des Nordens eigen noch dem des Ostens. Sinn für die Flächo, für ihre Füllung, Über-
spinnung schließt Sinn für den Kubus grundsätzlich aus. Polen ist daher nicht reich
an bildhauerischen Talenten, aber es besitzt immerhin einige sehr bemerkenswerte Be-
gabungen, die, sich künstlerisch scharf voneinander absetzend, die Hauptmöglichkeiten
der Plastik demonstrieren: Dunikowski, den gotischen Bewegungsplastiker, Wittig, den
tektonischen Monumentalplastiker, Szczepkowski, den Holzschnitzer, und Zamoyski,
den Schüler des Westens, der mittelländischen Tradition Maillols. Vielleicht kann
man in den vieren das Wesen des polnischen Geistes dargestellt erblicken: das schwei-
fende, leidenschaftliche Streben, ein sich dem Unfaßbaren Vermählenwollen, das die
vielfachen inneren Berührungspunkte mit Deutschland hervorgebracht hat in der
Gotik, im Fin de Siecle beirn Beginn der Sztuka, die Sehnsucht nach dem »reinen
Sein«, nach der großen ruhigen Form, die jenes Weitoffenstehen für die italienische
Renaissance herbeigeführt, und endlich das unentwegte Fortblühen eines von allen
Fragen der hohen Kunst unherührten Kunstwollens im bäuerlichen Volke, für das
Holzschnitzen natürhcher Gefühlsausdruck seit allem Anbeginn war.

Xawery Dunikowski ist 1876 in Krakau geboren und war auf der Akademie ein
Schüler Laszczkas, des Mitkämpfers Wyspianskis. Er beginnt in den Bahnen der vor-
folkloren Sztuka. Höchste Steigerung des Gefühlsausdrucks ist die Aufgabe. Es ist
genau dieselbe Richtung, wie sie in jenen Jahren bei dem Beigier George Minne deut-
lich wird und dann bei dem Deutschen Lehmbruck. Ein asketischer, mittelalterlicher
Geist, eine verzehrende Frömmigkeit lebt hier in vollem Gegensatz zur Diesseits-
bejahung der eigenen Zeit. Diese Kunst ist Protest gegen den Realismus wie jene
Przybyszewskis und Wyspianskis. Immer wieder hat Dunikowski das Mysterium der
Mutterschaft dargestellt: schwangere Frauen, die in tiefem Sinnen das kommende
Wunder betrachten. Wirklichkeit und Unwirklichkeit verwischend, gibt ihnen der
Künstler das Embryo symbolhaft in die Iland. Sie schauen es an, aber es ist doch nie

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