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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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[Heft 13/14]
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Lill, Georg: Die Ausstellung "Kirchliche Kunstschätze in Bayern" im Residenz-Museum
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0414

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lich die Steinzimmer der königlichen Pvesidenz, die Spätrenaissanceräume Kurfürst
Maximilians I., die um 1610 —1620 unter Krumpers tätigster Mitwirkung enstanden.
Die vornehme, repräsentative und doch wieder tektonisch gebändigte Pracht der Stuck-
marmorwände, die Schmuckhaftigkeit ihrer vergoldeten Decken, die intime Wärme
ihrer Wandteppiche und die Wohlproportioniertheit ihres Volumens lassen irgendwie
deir Eindruck einer alten Schatzkammer aufkommen.

Hier hat man nun in der Flucht von sechs Räumen das Auserlesenste, die Gipfelstücke
kirchlichenKunstgewerbes inEdelmetall, Elfenbein, Stickerei, Weberei aufgestellt, Dinge,
die man sonst nur unter mühseligen Reisen in abgelegenen Kirchen, ängstlicli behütet
von eifersüchtigen Kiistern schwer und hastig zu Gesicht bekommt. Hier stehen sie
bei- und nebeneinander, in schönen großen Glasvitrinen, oder auch ganz offen. Hier
kann man den Gang durch die Jahrhunderte machen, vom Tassilokelch von 777 bis
zum Empirekelch, der ein Jahrtausend später geformt wurde. Eine unerliörte Fülle der
Pracht, der Formbildung, der Stilwandlung, der religiös-kirchlichen Symbolik. Zu-
gleich eine Fülle der Kostbaz'keiten, vielleicht geringer an materiellem Wert als man
erwartet, da nur einige Schöpfungen des 16. und 17. Jahrhunderts in der gehäuften
Verwendung von Edelsteinen und reinem Gold den eigentlichen Prunk suchten, die
anderen vielmehr in der unerhörten Ausnützung der Bild- und Formmöglichkeiten besten
Arbeitsmaterials, wie Email, Stein, Metall, Wollfaden, Elfenbein. Ebenso verwirrend
die Fülle künstlerischer Anregungen und Möglichkeiten, nicht nur der zeitlichen Ver-
schiedenheiten, sondern auch der verschiedensten nationalen und übernationalenKreu-
zungen und Durchdringungen: Byzanz und Rom, nordisch-germanische Kunst, Frank-
reich und Italien. Aber alles doch wieder zusammengefaßt von einer gewissen seeli-
schen Wärme des Süddeutschen, von seiner kraftvollen Frömmigkeit und seiner aus-
schweifenden Phantasie, seiner Farbenfreude und seinem Formtrieb.

Wir können in dieser kurzen Übersicht nicht auf die Einzelheiten der über 500 aus-
gestellten Gegenstände eingehen, die in ihrer lockeren, dem Werte des Einzelnen ent-
sprechenden Aufstellung doch nur in der Autopsie ganz erschlossen werden können.
Hier soll nur ein kurzer Rundgang das Wesentliche herausheben.

Der erste Raum umfaßt etwa 40 Gegenstände der Völkerwanderungszeit bis zum Ende
der Romanik, ein Saal, dem nach der heutigen Stilvorliebe für das Monumental-Ein-
fache das weiteste und tiefste Interesse entgegengebraclit wird. Neben den Ausläufern
der spätantiken, klassizistischen Richtung (Bischofskamm, Tragaltar des Kaisers Arnulf,
Gebetbucheinbänden) stehen die frühesten Zeugen germanischer Kunstfertigkeit, wie
etwa der einzigartige Tassilokelch (Kloster Kremsmünster), ein Stück barbarischer Grob-
schlächtigkeit, aber gerade hierin von einer ungebrochenen Kraft größter und einheit-
hchster Formgestaltung. Wie sich diese Großförmigkeit bis zum Ende der romanischen
Periode erhält, davon zeugt der Henkelkelch von Wilten um 1180—90, fiir mich eines
der kunstgewerblich kostbarsten Stücke der Ausstellung. Ganz im Sinne des Spätstils
ist die Form übersponnen von einer Fiille von gravierten Darstellungen aus altemTesta-
ment und Passion, Zeichnungen der raffiniertesten Beweglichkeit und des tiefsten Ge-
fühls, fast beispiellos die kompromißlose Verschmelzung von Form und Dekor.

Wie stark sich der Gegensatz mittelalterlichen Stilgefühls spannt, mag man in den drei
folgenden gotischen Sälen (rund 80 Gegenstände) ersehen, besonders etwa indemRaume
der Monstranzen. Die Architektur drängt die Zweckform zurück. Eine Vergeistigung
der Idee bi'ingt zugleich eine Vergewaltigung der Form, bis schließlicli die Spätgotik
immer mehr zur Realität des Lebens führt, wie die ausgewählten Wandteppiche der
Nürnberger und Eichstätter Schule zeigen. Das Figürliche dominiert immer mehr,
selbst an Kelchen, Mitren, Bischofsstäben (von der eine stolze Reihe aus der Karolinger-
zeit bis zum Rokoko nebeneinander steht), auch an Schreinen (Kosmas- und Damian-
 
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