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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 17/18
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Scharf, Alfred: Die Ausstellung vlämischer Kunst in Antwerpen
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0492

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Mayer van der Bergh in Antwerpen vertreten. Die beiden Tafeln, die angeblich aus
der anKunstschätzen reichen Kartause von Dijon stammen, zeigen die Geburt Christi und
den hl. Christophorus, auf der Rückseite des rechten Flügels die Auferstehung Christi in
bunter, stark farbiger Malweise. Dieselbe Hand kann man in einem Diptychon der Samm-
lung M. Cuvillier zu Niort erkennen, auf dem die Verkündigung, die Taufe Christi und
dieKreuzigungdargestelltsind,und das auf derPariserPrimitivenausstellung 1904ZU sehen
war. Die Gemälde, die wahrscheinlich zu einem Polyptychon gehört haben, sind aus-
gezeichnete Zeugnisse der burgundisch-vlämischen Tafelmalerei um 1590 —1400.

Von Jan van Eyck kann lediglich die kleine, aber höchst charakteristische Stigmatisation
des hl. Franziskus aus Turin als eigenhändige Arbeit gelten. Das Bildnis Christi aus
englischem Privatbesitz ist nur eine mäßige Kopie der häufig wiederholten Komposition,
von der sich bessere Exemplare in Berlin, München, Brügge u. a. befinden. Über ein
drittes Jan van Eyck benanntes Gemälde wird weiter unten zu sprechen sein. Jans
Schüler und künstlerischer Nachfolger Petrus Christus ist an dem bereits in London
gezeigten Bildnis desKartäusermönchs Denis (New York, Sammlung Bache), der Meister
von Flemalle, dessen Hauptwerke gleichzeitig in Mons ausgestellt waren, an dem
Männerbiklnis desBerliner Kaiser-F riedrich-Museums, an einem bisher nicht öffentlich ge-
zeigten Bildnis einer Prinzessin von Savoyen (ausNewYorkerPrivatbesitz) und einer späten
Replik der hekannten Madonna in der Nische gut zu studieren. Roger van der Weyden
und Dirk Bouts treten dagegen unberechtigterweise stark zurück. Die Roger zuge-
schriebene Lucas-Madonna aus Burg Kreuzenstein ist ihres schwärzlichen Kolorits
wegen, wie Hülin und Friedländer erkannt liaben, einem Nachfolger des Meisters zu-
zuweisen. Die beiden Roger benannten Madonnen aus belgischem Privatbesitz ver-
mögen nicht zu überzeugen. Von den sechs Dirk Bouts zugeschriebenen Madonnen
kann wenigstens die trauernde Maria der Sammlung J. vau der Elst in Wien zweifellos
als Original gelten. Das in der Literatur irrtümlich als Werk eines Nachfolgers be-
zeichnete Bild, das schon durch seine makellose Erhaltung und den Ausdruck besticht,
erweist sich, berücksichtigt man die verschiedenen Pentimente, als reifes Meisterwerk.
Zwei Madonnenkompositionen führen in die Umgebnng Rogers zurück, eine sehr
zeichnerische, grobförmige, das Kind säugende Maria aus dem amerikanischen Kunst-
liandel und die Madonna in Halbfigur in der Landschaft, die ähnlich auf einem Bilde
in Caen vorkommt, aus der Sammlung Vieweg. Die Madonna in ganzer Figur aus
englischem Besitz erinnert trotz subtilster Ausführung ihrer kleinteiligen Formen-
sprache wegen an Arbeiten des Aelbert Bouts, der mit einem Kopfe Christi mit der
Dornenkrone (Brüssel, Baron Coppee) vertreten ist.

Als besonderen Erfolg kann die Ausstellung die Anwesenheit der Kommunion der
Apostel (im Katalog fälschlich als Abendmahl gedeutet) von Justus van Gent buchen.
Die großartige Komposition, die ähnlich dem Portinarialtar zwischen der niederländi-
schen und italienischen Malerei eine Vermittlerrolle spielt, hat seit ihrer Entstehung
in den Jahren 1475 —1474 IJrbino nicht verlassen. Nun stelrt sie mit ihren derben
Typen, der weiten, freien Räumlichkeit und der Beschränkung auf wenige zur Hand-
lung gehörende Requisiten und Gesten völlig isoliert. Die Stellung des Werkes inner-
halb der gleichzeitigen umbrischen Kunst wäre in anderem Zusammenhange zu unter-
suchen. Hugo van der Goes selbst wird durch die nur wenigen durch Autopsie bekannte
Anbetung der Hirten aus der Sammlung des Earl of Pembroke, Wilton House, vorzüg-
lich repräsentiert (Abb. Cicerone, 1930, Heft 13/14). Das kleine, sehr sorgfältig aus-
geführte Täfelchen zeigt in den Typen, man vergleiche z. B. die Hirten, stärkste Ver-
wandtschaft mit dem Berliner Retablo, das den zeitlichen Zusammenhang mit dem
Portinarialtar besonders deutlich macht. Bei der Madonna aus der Sammlung Herzog
in Budapest erschwert der erneuerte Goldgrund die Beurteilung, ob es sich um ein

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