Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

DOI Heft:
Heft 17/18
DOI Artikel:
Schmidt, Paul Ferdinand: Walter Gropius
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0506

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
vorschlägt, seine unbedingten Vorzüge zu haben. Es ist so schmal gebaut, daß Treppen,
Zugänge u. dgl. auf die Nord-, alles Wohngemäße auf die Südseite des schmalen Riesen-
blocks mit Lauben und Balkons verlegt werden kann. Raum für Garagen, Dachgärten
und allen Wohnkomfort ergibt sich von selbst, vor allem aber folgt aus der Hoch-
streckung des Wohnbedarfs eine entsprechend gewaltige Erweiterung des verfügbaren
Terrains für Grünflächen, Sportgelegenheiten, Gärten usw. Denn natürlich, je höher
man baut, je schmaler die Wohnbasis ist, desto ausgedehnter die leere Nutzfläche des
Terrains bei gleichem Bodenpreis gegeniiber der kleinlichen Verzettelung der Grund-
stücke in individuelle Gartenparzellchen beim Flachbau.

Dem rationellen und konsequenten Durchdenken der Raumverteilung entspricht die
klare überzeugende Architekturform bei Gropius. Eines bedingt das andere. Man wird
stets den denkenden Architekten vom Nachempfinder an der Einfachheit seiner Bau-
form unterscheiden können. Manchem mag die kubische Grundform seiner Bauten
nüchtern und errechnet vorkommen. Wer tiefer schaut, sieht gerade in der mathe-
matischen Präzision, in der unbedingten scharfen Klarheit seiner Bauten das Schöpfe-
rische. Er teilt diese Strenge mit anderen Führern der heutigen Baukunst, mit Le
Corbusier, mit Häring, Hilberseimer, Mies von der Rohe, Luckhardts. Der drei-
dimensionale Nutzraum und das verwendete Material bestimmen allein das Aussehen
des Baues: Was über die unbedingt notwendige Umhüllung in unbedingt notwendigem
Material hinausgeht, ist unnötig und vom Übel. Es herrscht der Zweckgedanke in
reiner Vollkommenheit mathematischer Proportion; es herrscht die Schönheit des ehr-
lich zur Schau gebrachten Materials: Beton, roh oder verputzt, Eisenschienen, Glas-
fläche; auf die Proportion, das Raumbildende der hartkantigen Fläche, kommt es allein
an. Breite Lagerung oder getürmte Höhe, glitzernd gedehnte Fläche oder schattende
Höhlung, vorspringender Kubus, Halbkreis, Rechteck, Horizpntal-Parallelen: ärmliche
Begriffe gegenüber dem Reichtum architektonischen Ausdrucks, den dieser Architekt
aus den wenigen Elementen zieht, die ihm sein Handwerk gibt!

Walter Gropius

Bauhaussiedlung Dessau. Wohnraum Moholy-Nagy

474
 
Annotationen