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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 13 (1. Aprilheft 1917)
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Friedenserhaltung und Friedensgestaltung, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0020

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es nicht, über diesen reformatorischen Pazifismus mit wenig Worten
hinwegzugehen. Ls ist nicht alles damit getan, wenn man ihm, wie
es ursächliche (oder „revolutionäre") Pazifisten manchmal tun, plumpe
Widersprüche, sinnwidriges Verfahren, geistige Mutlosigkeit, Unvernunft
vorwirft. Die eine Bedeutung bleibt ihm trotz alledem, daß auch er
den Gedanken des Friedens wachhält und — in seiner Weise viel
stärker als der revolutionäre Pazifismus — eine sehr breite Offentlich»
keit damit beschäftigt. Fraglich^ ist dabei allerdings, ob diese Wirkung
nicht wettgemacht wird durch die eng damit verbundene: daß er sehr
viele Friedensfreunde sozusagen schon beruhigt, also vielleicht von wichtiger
Betätigung im Dienste des Friedens abhält. Die Mäßigkeitbewegung
weist eine entsprechende Folge vielfach auf: es beruhigen sich in ihr manche
recht tüchtige Trinker bei dem Gedanken, daß sie eben doch „mäßig" seien
und folglich gegen den Alkoholismus das ihre tuen. Entscheiden kann
man diesen Zwiespalt nicht; aber es ist notwendig, auf ihn hinzuweisen.

T

/Aeschlosseneren Aufbau der Gedanken und geschlossenere äußere Or*
^ganisation weist der ursächliche Pazifismus auf. Sein Gedanken»
gang ist dieser: der Krieg ist ein Symptom, eine notwendige Folge
bestimmter, erkennbarer und erkannter Ursachen. Wie man etwa nun
die Diphtherie nicht mehr allein durch das Auflegen feuchter Tücher
und das Ausreißen der Pilze im tzalse bekämpft, also nicht allein die
Krankheitsymptome angreift, sondern den Krankheiterreger sucht und durch
Serum unschädlich macht, so muß man den Kriegerreger aufsuchen und
die Welt von ihm befreien. Als Arsache des Krieges gilt nun dem
revolutionären Pazifisten die Art des heutigen Verhältnisses zwischen
den Staaten, die er als „anarchisch" bezeichnet, die „zwischenstaatliche
Anarchie". Iwischen den Staaten bestehen heute ungeordnete Verhält»
nisse. Was an rechtlich geordneten Beziehungen vorhanden ist, ist wenig,
und das Wenige ist nicht, wie es die innerstaatlichen Beziehungen. durch
die S.taatsmacht sind, durch irgendeine Macht verbürgt. Mit andern
Worten: die Welt ist organisiert bis hinauf zu den „souveränen" Staaten,
diese jedoch sind heute der organisatorischen Weisheit letzter Schluß.
Darüber hinaus ist sie nicht organisiert. Eine Organisation der Staaten
nach vernünftigen Grundsätzen würde nun den Krieg bald unmöglich
machen. Der Schluß ist offenbar: also müssen die Staaten unterein»
ander organisiert werden. Das wäre sehr einfach, wenn die Staaten
von „ursächlichen Pazifisten" gelenkt würden. Da aber die Staaten»
lenker das Gegenteil davon sind, so steht der Pazifist hier vor der Un-
möglichkeit, weiterzukommen. In dieser Lage kommt ihm ein andrer Ge-
dankengang zu tzilfe: die zwischenstaatliche Anarchie sei nämlich gar nicht
so groß, wie man allgemein annimmt. In Wirklichkeit „ist heute die
Weltorganisation weiter fortgeschritten, als es der Mehrheit der Zeit»
genossen bewußt wird", sagt Fried. Also: die Menschen sehen das noch
nicht, was ist, und handeln deshalb nicht danach. Wenn alle Menschen
wüßten, wie eng verflochten die Staaten schon heute miteinander sind,
dann würde die Welt sich sehr rasch zu der tatsächlichen Organisation
auch die rechtliche hinzuschaffen, wie denn die Formulierung von Tat-
sachen, die sichtbare, Lußere, verbürgte Organisation immer erst ein-
tritt, nachdem die Dinge selbst sich bis zu dieser Möglichkeit hin ent-
 
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