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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 13 (1. Aprilheft 1917)
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Schultze-Naumburg, Paul: Die Gestaltung der Landschaft: zu der neuen Folge der Kunstwartbücher "Kulturarbeiten"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0029

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uns sehen, vom Forst bis zum Feld, von der Wiese bis zum Mühlen--
wehr, ist Menschenwerk oder doch Natur, von Menschenhand gebändigt und
verändert. Das aber, was im eigentlichen Grunde die Triebfeder zu all
den Veränderungen war, ist nach Schillers altem und so oft zitiertem Wort
der Hunger, der den Bau einstweilen noch zusammenhält, oder mit andern
Worten: es ist die Nutzbarmachung der Erdoberfläche, die der Mensch be»
ständig mehr und tiefer durchwühlt und durchfurcht, rodet, düngt, bebaut,
beerntet und — verwüstet.

Wenn man sich die Methoden klar macht, die der Mensch eingeschlagen
hat, um sich der Lrdoberfläche zu bemächtigen und sie seinen Zwecken
dienstbar zu machen, so sieht man, daß es, in großen Zügen betrachtet,
sechs Betätigungsarten sind, mittels derer er sich das Land unterwarf:
Wege- und Straßenanlagen, forst- und landwirtschaftliche Nutzbarmachung
der Pflanzenwelt, der Abbau der Mineralien, die Wasserwirtschaft, die
Industrieanlagen mit den Schienenstraßen und schließlich das gesamte Ge»
biet der Bauwerke, die der Mensch auf der Erde errichtete. So betrachtet
werden alle Veränderungen der Lrdoberfläche zu der durch Menschenhand
gestalteten Landschaft; das Feld und die Wiese nicht minder als die Groß-
stadt, die heute vielleicht auf demselben Boden steht, der vor einem halben
Iahrhundert selbst noch Wiese und Acker war. Diese scheidet natürlich
hier aus unsrer Betrachtung aus, da bei der Vorstellung des Begriffs
Landschaft die „freie Natur" nicht entbehrt werden kann.

Ein jeder weiß, was für Güter wir der Nutzbarmachung der Erde ver-
danken, und es erübrigt sich, ein hohes Lied auf die Kulturtaten der
Menschheit zu singen. Eher scheint es mir am Platze, heute über ein Zu-
viel des Guten, eine Monomanie der Nutzbarmachung zu reden, die die
Menschheit befallen zu haben scheint. War früher die Nutzbarmachung
die Befriedigung eines Bedürfnisses, so ist sie heute mancherorten zum
Selbstzweck geworden.

Man sucht der Erde alles zu entreißen, was sich nur irgend verkaufen
läßt, ohne sich von der Erwägung anfechten zu lassen, ob man bei dieser
von jedem Bedenken freien Methode nicht Güter zerstört, die uns keines
Menschen tzand je wieder ersetzen kann, Güter, die -sich letzten Endes viel»
leicht als wertvoller erweisen als die Werte, welche man dabei gewon-
nen hat. '

Der Wilde schätzt den Gegenstand nur, wenn er ihn fressen, der moderne
Mensch, wenn er seinen Wert mit einer Geldsumme bezeichnen kann. Aber
mit den ersten Ansätzen der Gesittung dämmert bei jenem die ehrfurcht-
volle Ahnung von dem Göttlichen in der Natur, und vielleicht kommt auch
unsern Mitmenschen wieder einmal eine Ahnung davon, daß es immer
noch wichtigere Dinge gibt, als das, was sich verkaufen läßt, und daß
Verkaufswaren zwar Materialien für die Notdurft des Lebens, aber keine
Güter bedeuten, die selbständig Glück zu verleihen vermöchten.

Eines der beglückendsten Geschenke, die uns gegeben sind, ist das Ve-
greifen der Erscheinungswelt als Schönheit. Denn Schönheit, mag sie
in den letzten Zeitläufen noch so niedrig im Kurs gestanden haben, be-
deutet für den Menschen unersetzlichen Lebensinhalt. Wir können viel-
leicht den Begriff des Schönen nicht ganz genau festlegen, können sogar
die Beobachtung aufstellen, daß die Menschen zu verschiedenen Zeiten sich
in ihren Vorstellungen von dem, was schön sei, sehr widersprachen, aber
es bleibt stets bestehen, daß sie immer wieder zu der Natur da draußen
 
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