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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

DOI Heft:
Heft 13 (1. Aprilheft 1917)
DOI Artikel:
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Aus Jung-Stillings Schriften
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0041

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denn eine neue Sonne? Das mutz ja was Wunderliches sein, das muß
ich sehen. Ich ging darauf zu; wie ich vorn hin kam, siehe, da war vor
mir eine Cbne, die ich mit meinen Augen nicht übersehen konnte. Ich
hab' mein Lebtag so etwas tzerrliches nicht gesehen, so ein schöner Geruch,
so eine kühle Luft kam darüber her, ich kann's euch nicht sagen. Es war
so weiß Licht durch die ganze Gegend, der Tag mit der Sonne ist Nacht
dagegen. Da standen viel tausend prächtige Schlösser, eins nah beim
andern. Schlösser! — ich kann's euch nicht beschreiben! als wenn sie von
lauter Silber wären. Da waren Gärten, Büsche, Bäche. O Gott, wie
schön! Nicht weit von mir stand ein großes herrliches Schloß. Aus der
Lür dieses Schlosses kam Iemand heraus auf mich zu, wie eine Iungfrau.
Ach! ein herrlicher Engel! — Wie sie nah bei mir war, ach Gott! da war
es unser seliges Dortchen! Sie sagte gegen mich so freundlich, eben mit
der Miene, die mir ehemals so oft das tzerz stahl: Vater, dort ist unsere
ewige Wohnung, ihr kommt bald zu uns.

Stilling auf der Wanderschaft

^rier packte er nun seine paar Lumpen, die er noch hatte, zusammen,
vband seinen tzut mit hinein, den Stab aber ließ er zurück. Diesen
Bündel warf er durch ein Fenster hinter dem tzause in den tzof, ging dar-
auf wieder herunter, und spazierte ganz gleichgültig zur Pforte hinaus,
ging hinter das tzaus, nahm den Pack, und wanderte so geschwind als er
konnte, das Feld hinaus, und eine ziemliche Strecke in den Busch hinein;
hier zog er seinen abgeschabten Rock an, setzte den tzut auf, tat seinen
alten siamoisenen Kittel, den er des Werketags getragen hatte, in den
Bündel, schnitt einen Stecken ab, worauf er sich stützte, und wanderte nord-
wärts durch Berg und Tal fort, ohne einen Weg zu haben. Als er eine
Stunde durch wüste Oerter fortgewandelt war, so geriet er auf eine Land-
straße, und hier sah er ungefähr eine Stunde vor sich hin auf der tzöhe ein
Städtchen liegen, wohin diese Straße führte; er folgte derselben ohne einen
Willen zu haben warum, und gegen ^ Nhr kam er vor dem Tor an. Er
fragte daselbst nach dem Namen der Stadt, und er vernahm, daß es Wald-
stätt war, wovon er zuweilen hatte reden hören. Nun ging er zu einem
Tor hinein, gerade durch die Städt durch, und zum andern wieder heraus.
Nach einer kleinen halben Stunde geriet er in einen kleinen Wald, die
Straße verlor sich, und nun fand er keinen Weg mehr; er setzte sich nieder,
denn er hatte sich müde gelaufen. Ietzt kam seine völlige Kraft zu denken
wieder, er besann sich, und hatte keinen einzigen tzeller Geld bei sich, denn
er hatte noch wenig oder gar keinen Lohn gefordert; doch war er hungrig.
Er war in einer Einöde, und wuhte weit und breit um sich her keinen
Menschen, der ihn kannte.

Ietzt fing er an und sagte bei sich selber: „Nun bin ich denn doch end-
lich auf den höchsten Gipfel der Verlassung gestiegen, es ist jetzt nichts mehr
übrig, als betteln oder sterben; — das ist der erste Mittag in meinem
Leben, an welchem ich keinen Tisch für mich weiß! ja, die Stunde ist ge»
kommen, da das große Wort des Erlösers für mich auf der höchsten Probe
steht: Auch ein tzaar von eurem tzaupt soll nicht umkommen! — Ist das
wahr, so muß mir schleunige tzilfe geschehen, denn ich habe bis aus diesen
Augenblick auf ihn getraut und seinem Worte geglaubt; — ich gehöre mit
zu den Augen, die auf den tzerrn warten, daß er ihnen zur rechten Zeit
Speise gebe und sie mit Wohlgefallen sättige; ich bin doch so gut sein Ge-

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