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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 14 (2. Aprilheft 1917)
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Schumann, Wolfgang: Theaterkultur
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0077

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an reformatorischen Versuchen gefehlt, als an Zusamrnenfassung der
Strebenden und an Abklärung der theaterpolitischen Ziele. Eine solche
schien sich im Sommer Wb anzubahnen, als in Hildesheim ein „Ver-
band zur Förderung deutscher Theaterkultur^ gegründet wurde. Schrift*
steller, Kommunalbeamte, Theaterleute, Politiker, Professoren haben ihn
gegründet, Ausschüsse wurden gebildet, Flugblätter und Aufrufe aus»
gegeben, Ortsvereine ins Leben gerufen, Satzungen und Ziele festgelegt,
einschlägige Schriften teils angekündigt, teils gedruckt. Das typische Bild
einer deutschen Zweckverbandgründung von regem Tätigkeitdrang war
damit gegeben. Bun lohnt sich der Versuch, einiges Grundsätzliche über
die Möglichkeiten solcher Unternehmen vorzubringen.

Fassen wir zunächst den Begriff Theaterkultur scharf. Ls liegt nahe, bei
dem Wort an Zahl, Art und Wert der in Deutschland alljährlich aufgeführ«
ten Bühnenwerke zu denken. Denn die große Mehrzahl der Theaterauffüh«
rungen bringt Stücke einer Ebene, auf der von „Kultur^ in irgendeinent
Sinne wohl nicht gesprochen werden kann. Es liegt also nahe, die Aufgabe
der Theaterkulturpolitik als eine literaturpolitische aufzufassen, sich unter
dem Gesichtwinkel des Theaters mit dem Kampf gegen den dramatischen
Schund, mit der Förderung „guter" Bühnenwerke, mit „Kunsterziehung^
zu beschäftigen. Trotzdem glaube ich, daß eine solche Wendung des ge*
samten Theaterkulturstrebens nicht besonders glücklich wäre. Eine „tzebung
des literarischen Lebens" auf dem Gebiet des Theaters ist das strategische
Endziel, aber die taktische Aufgabe für heute dürfte eine ganz andere sein,
als mit allen Mitteln sogleich auf dieses Ziel loszugehen. Linmal, weil
die verfügbaren Kräfte dazu nicht ausreichen, zweitens, weil die Wider*
stände zu groß sind.

Daß die verfügbaren Kräfte für einen wesentlich literaturpolitischen
„Kampf" nicht ausreichen, dürfte jedem Kenner des literarischen Lebens
klar vor Augen stehen. Die Kraft einer Bewegung steht in einem genauen
Verhältnis zu der Einigkeit ihrer Träger in Bezug auf das positive Ziel.
Diese Einigkeit ist in Deutschland bezüglich des dramatischen Schrift*
tums nicht da. Man ist einigermaßen einig im Negativen, ganz uneinig
im Positiven. Weit gehen aus ästhetischen, volkserzieherischen, sozial*
ethischen, religiösen, parteipolitischen und anderen Beweggründen die
Meinungen darüber auseinander, welche Bühnenwerke denn eigentlich
statt der bekämpfenswerten schlechten, aber zahlenmäßig herrschenden, auf*
geführt werden sollten; selbst eine ganz abweichende Auffassung der Sach*
lage wird von tüchtigen Fachleuten vertreten: daß nämlich überhaupt nur
wenige gute Bühnendichtungen ganz unaufgeführt bleiben, wenngleich
die meisten von ihnen zu selten aufgeführt werden. Ein Programm, das
die Forderung enthielte, bestimmte Bühnenwerke oder Stücke irgendeiner
bestimmten literarischen oder sonstigen „Nichtung^ aufzuführen oder häufi*
ger aufzuführen, hätte von vornherein nicht die nötige Kraft hinter sich;
es muß vielmehr vorläufig jeder literarischen oder sonstigen Gruppe vor*
behalten werden, aus eigner Kraft, ohne die Beihilfe allgemeiner
Verbandskräfte, sich Theater für ihre Zwecke zu schaffen oder zu gewinnen.

Daß die „Widerstände" im Theaterbetrieb gegen eine literaturpolitische
Bewegung stark sind, haben Theaterfachleute oft ausgesprochen. Viele
Theaterleiter sagen offen: ich würde Besseres spielen, aber ich kann es
nicht, denn das Publikum geht nur in die „anderen" Aufführungen, und
vom Publikum ist mein Theater geschäftlich abhängig. Das ist durchaus

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