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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 14 (2. Aprilheft 1917)
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Corbach, Otto: Krieg und Auswanderung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0086

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gen, wie innig die Beziehungen sind, die zwischen Krieg und Auswande-
rung überhaupt obwalten. Der moderne italienische Imperialismus kann
geradezu als eine Reaktion gegen die Erschwerungen aufgefaßt werden,
mit denen die italienische Auswanderung in den letzten zehn, zwanzig
Iahren mehr und mehr zu kämpfen hatte. Ie feindseliger sich die Stamm-
bevölkerung der Einwanderungsländer auch gegen italienische Eindring»
linge verhielt, desto stärker regte sich in der italienischen Volksseele der
Wunsch, die eigenen Söhne nicht mehr als Kulturdünger an fremde Völker
abzugeben und fremdes Kapital nicht mehr durch italienische Arbeitskraft
und Geschicklichkeit mästen zu müssen. Das Los seiner Auswanderer brachte
dem italienischen Volke zum Bewußtsein, daß die mächtigeren Kultur-
völker es als politisches Aschenbrödel zu brauchen suchten. Das verschaffte
der Kriegspartei in Italien gegenüber der Türkei wie Osterreich-Ungarn
so starken Anklang in breiten Volksschichten. Der Bersagliere, der sich in
Tripolis den „ruhmreichen tzelm Scipios^ auf sein tapferes Haupt drücken
konnte, sollte seinem Vaterlande zu einer eigenen Ansiedlungskolonie ver>
helfen und zugleich den Bruder Scapellino und Bracciante in Penn-
sylvanien und auf den tzaziendas Brasiliens aus der Mißachtung und
Erniedrigung retten. In gleichem Sinne fand sich der italienische Pa-
triot auch in dem gegenwärtigen Kriege mit der Rolle seines Vaterlandes
ab. Nur bemächtigt sich weiter Kreise in Italien allmählich die lähmende
Furcht, daß der Krieg einen für Italien wie den ganzen Zehnverband
verhängnisvollen Ausgang nehmen könnte. Daß von Lripolis als Aw-
siedlungskolonie nicht viel zu erwarten sei, lernte man schon. tzatte man
ursprünglich geglaubt, Tripolis mit Millionen italienischer Ansiedler be-
völkern zu können, so setzten sich später nüchterne Beurteiler wie der
Staatsrechtslehrer Gaetano Mosca durch, der eine Ansiedlerzahl von ^5*
bis 20 000 als das tzöchstmaß der Aufnahmefähigkeit des wenig frucht*
baren, von jährlich fünfmonatiger Dürre geplagten Landes berechnete.
Sieht sich das italienische Volk nun bei Abschluß dieses Krieges um die
tzoffnungen betrogen, so kann es trotz des jetzigen Aderlasses bald von
einem derartigen Auswanderungsfieber erfaßt werden, daß jene Einwan*
derungsbeschränkungen dort als eine empfindliche Erschwerung des Kampfes
ums Dasein empfunden werden.

Der Ausfuhrindustrialismus verschleiert viele ursächliche Zusammen*
hänge. Sonst würde man leicht erkennen, daß nicht nur in Italien, sow-
dern in allen kriegsbeteiligten Ländern internationale tzemmungen der
modernen Völkerwanderung die eigentlich treibenden Kräfte für Bestre*
bungen waren, welche die Völker widereinander hetzten. Schließlich sind
ja auch Stockungen der Warenausfuhr eines Industriestaates mittelbar nur
Wirkungen irgendwelcher Auswanderungstockungen; denn der Zug zur Er*
schließung neuer jungfräulicher Böden in überseeischen Ländern, der die
moderne europäische Auswanderung beherrscht, schuf und schafft für die
europäischen Industrien erst die Voraussetzung für den Austausch heimi*
scher Arbeitskraft gegen fremde Bodenerzeugnisse. Wer aber mag be*
streiten, daß die wachsende gegenseitige Feindseligkeit zwischen Deutschland
und England als modernen Industriestaaten hauptsächlich durch die wach*
senden Schwierigkeiten entstand, für die Erzeugnisse des Gewerbefleißes
beider Völker genügend Absahgelegenheiten zu finden oder zu sichern?
So ergäbe sich also aus dieser Untersuchung, daß Amerika als das füh*
rende Einwanderungsland, indem es die europäische Auswanderung ab*


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