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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 14 (2. Aprilheft 1917)
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Corbach, Otto: Krieg und Auswanderung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0087

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zudämmen begann, dadurch unbewußt über Europa den gegenwärtigen
Krieg heraufbeschwören half.

Das würde mit der Auffassung vom Wesen des Krieges im Einklang
stehen, die Kant in seiner Schrift «Zum ewigen Frieden" ausdrückt, in
Ler er in vorteilhaftem Unterschied zu manchen modernen „Pazifisten^
den notwendigen Voraussetzungen eines dauernden Friedens ernsthaft
nachspürte. Ihm erschien der Krieg als ein Mittel der Natur, durch das
sie die Menschen „überall hin, selbst in die unwirtlichsten Gegenden« trieb,
um sie zu bevölkern. „Indem die Natur dafür gesorgt hat, daß Menschen
allerwärts auf Erden leben könnten, so hat sie zugleich auch despotisch
gewollt, daß sie allerwärts leben sollten, wenngleich wider ihre Nei«
gung, und selbst ohne daß dieses Sollen zugleich einen Pflichtbegriff vor«
aussetzte, der sie hierzu, vermittelst eines moralischen Gesetzes, verbände, —
sondern sie hat, zu diesem ihrem Zwecke zu gelangen, den Krieg ge»
wählt. — Wir sehen nämlich Völker, die an der Einheit ihrer Sprache die
Einheit ihrer Abstammung kennbar machen, wie die Samojeden am Eis»
meer einerseits, und ein Volk von ähnlicher Sprache, zweihundert Meilen
davon entfernt, im Altaischen Gebirge anderseits, wozwischen sich ein
anderes, nämlich mongolisches, berittenes und damit kriegerisches Volk,
gedrängt, und so jenen Teil ihres Stammes, weit von diesem, in die un-
wirtlichsten Eisgegenden, versprengt hat, wo sie gewiß nicht aus eigener
Aeigung sich hin verbreitet hätten; — ebenso die Finnen in der nörd*
lichsten Gegend von Europa, Lappen genannt, von den jetzt ebenso weit
entfernten, aber der Sprache nach mit ihnen verwandten Angarn, durch
dazwischen eingedrungene gotische und sarmatische Völker getrennt; und
was kann wohl anders die Eskimos (vielleicht uralte europäische Aben*
teurer, ein von allen Amerikanern ganz unterschiedenes Geschlecht) im
Aorden, und die Pescheräs im Süden von Amerika, bis zum Feuerlande
hingetrieben haben, als der Krieg, dessen sich die Natur als Mittel be*
dient, die Erde allerwärts zu bevölkern?"

Wo es nicht der Krieg unmittelbar ist, der zu massenhaften Wander*
bewegungen Anlaß gibt, da geschieht es durch politische Einrichtungen, die
Lem Krieg ihre Entstehung verdanken, vor allem durch die Bodensperre.
Gegenden mit Massenauswanderung sind fast immer solche, in denen
großes Grundeigentum überwiegt. Als Australien durch die Engländer
besiedelt wurde, hatte der planmäßige Landraub durch das System der
Einhegungen seinen tzöhepunkt erreicht, gerade wie vorher in Spanien
die Lage der Landbevölkerung unerträglich geworden war, als die spani-
schen Ansiedlungen in Südamerika ihr schnellstes Wachstumstempo erreicht
hatten. Ebenso steht heute das Glück und Gedeihen italienischer, rumäni*
scher, polnischer, ostjüdischer und anderer Ansiedlungen in überseeischen
Ländern im umgekehrten Verhältnis zu dem heimischen Mißgeschick und
Elend, dem sie entflohen.

In Rußland waren es weniger die Einwanderungserschwerungen in
überseeischen Ländern, als die japanischen Kriege, die durch Stauungen
der Bevölkerungsbewegung die politische Stimmung erzeugten, die die
Machthaber zu diesem Kriege drängte. Da nun sowohl Iapan als Amerika
an Kraft und Macht durch den Krieg in erstaunlichem Maße zugenommen
haben, so ist damit zu rechnen, daß beide Mächte nach Friedensschluß erst
recht imstande sein werden, den europäischen Ausdehnungsdrang im Osten
wie im Westen aufzuhalten. Der Krieg könnte also wohl den Sinn haben,
 
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