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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

DOI Heft:
Heft 15 (1. Maiheft 1917)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Friedenserhaltung und Friedensgestaltung, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0143

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nationalismus annimrnL — sie würde das auch dann kaum tun, wenn
er mit Engelszungen, statt mit Tabellen und Deduktionen predigte. Wir
erfassen das Leben rn der Welt vielmehr als eine Aufgabe, wir wollen
unter allen Amstanden an der Gestaltung jener Vorbedingungen mit«
schaffen, und wir brauchen dazu Lrkenntnisse, wie sie der theoretische
„ursächliche Pazisismus" bisher weder der Art noch der Zahl nach genügend
enthält. Kurz, Friedensgestaltung ist immer noch viel wichtiger, als
alle Friedenserhaltung, und sie muß ihr vorausgehen, denn einen Frie-
den, der des Erhaltens nicht wert ist, wollen wir auch nicht erhalten.
Pazifisten um jeden Preis sind die Europäer nicht und werden sie nicht
werden.

Was sie vor allem einzusehen haben, ist nicht die bescheidene Summe
internationaler Verflechtungen, sondern dies: daß jener Friede, der etwas
andres als Waffenruhe ist, sich mit den meisten ihrer Ideale nicht nur
in dialektischer Auseinandersetzung, sondern so wahrhaftig und wirklich
verträgt, daß er sogar deren annähernde Erfüllung bedeutet, daß er
also geschaffen werden muß, wenn das jahrtausendalte Elend einem er-
Haltenswürdigen Zustand weichen soll, auf den dann vielleicht noch immer
erhaltenswürdigere folgen mögen. Darum muß nicht nur der Anter»
schied des wahren vom scheinbaren Frieden betont, sondern das Wesen
des wahren Friedens herausgearbeitet werden. Fried scheint das ab-
sichtlich zu meiden. Wie es scheint: aus Furcht vor der Wissenschaft. Immer
wieder verwahrt er sich gegen den Vorwurf des Atopismus, immerfort
betont er die „Wissenschaftlichkeit^ seines Pazifismus. Aber die Wissen«
schaft selbst hat den großen Gedanken längst gefaßt, daß unser Denken
eine Anpassungerscheinung der Menschenseele an die Tatsachen ist, daß
wir mit Fiktionen arbeiten und arbeiten müssen. Line Bewegung weist
sich, wie das anfangs „wissenschaftlich unmögliche^ Luftschiff, durch Er-
folge aus, nicht durch den Nachweis, daß sie den sämtlichen möglichen An-
forderungen sämtlicher möglicher Wissenschaften, oder gar durch den: daß
sie dem Realismusbegriff einer antiquarisch angelegten, nach rückwärts
gerichteten, leistungunfahigen Kulturwissenschaft entspricht. Nein, sie
braucht bloß etwas Bleibendes zu „schaffen", dann wird so manche Wissen-
schaft es anerkennen. Das zu Schaffende vorher der augenblicklicheu
Wissenschaft anpassen zu wollen, heißt Schlimmeres noch, als das Pferd
am Schwanz aufzäumen.

^>un aber: ist das Ziel der „Friedensgestaltung^ nicht wirklich utopisch?
^^Bedeutet es nicht einfach: eine neue, bessere Welt wollen, wie das
durch all die Iahrhunderte so Viele wollten, von Buddha an bis zu
Tolstoj? Allerdings kann man jedwede Kulturarbeit auffassen als Frie-
densarbeit, sofern sie einem Begriff von Kultur entspricht, in dem der
Krieg nicht als notwendiges Element enthalten ist. Die ungeheure Auf-
gabe wäre daher, die Kulturarbeit so zergliedern zu lernen, daß wir
einigermaßen wüßten, welche ihrer Teile friedenfördernd, indifferent für
Krieg und Frieden oder kriegfördernd sind. Wüßten wir darüber so
genau Bescheid, wie Fried glaubt, dann wäre uns bald geholfen. Aber
wir wissen es leider nicht. Wenn Fried zum Beispiel die EnLwicklung
der Technik so außerordentlich friedenfördernd findet, so steigt uns das
Bedenken auf, daß sie ja auch kriegfördernd ist — der Weltkrieg wird
ja vielfach geradezu als ein Wettkampf der technischen LeistungfähigkeiL
 
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