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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

DOI issue:
Heft 15 (1. Maiheft 1917)
DOI article:
Schumann, Wolfgang: Friedenserhaltung und Friedensgestaltung, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0144

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aufgefaßt. Wenn Fried den Verkehr so hoch einschätzt als Frieden«
förderer, so erinnern wir uns nicht nur der Ruedorfferschen Gegen«
meinung, sondern auch der Tatsache, daß erst die weltwirtschaftliche Ver»
flechtung jene furchtbaren Konkurrenzspannungen erzeugt hat, in denen
Viele die eigentliche Arsache des Weltkrieges sehen. Damit ist nicht die
Teilgültigkeit der Friedschen Aufstellungen bestritten — in einem ge«
wissen Sinne wirken Verkehr und Technik wohl friedenfördernd —, aber
ihre Vollgültigkeit. Rur friedenfördernd, gar nicht kriegfördernd würden
beide nur unter der Voraussetzung wirken, die der Mechanist so gern
vergißt: daß wir andere Wenschen wären. Damit fällt Frieds System
zu einem bedeutenden Teil zusammen. Es ist „wissenschaftlich", wenn
wissenschaftlich gleichbedeutend mit logisch-dialektisch einwandfrei ist oder
auch mit phantasielos, eng, übervorsichtig, mechanistisch. Ganz unwissen--
schaftlich erscheint es, gemessen an einer umfassenden, lebendigen, tief-
schauenden Wissenschaft, die allerdings vielleicht heute ebensowenig und
ebensoviel da ist wie der wahre Friede.

Line genaue Kenntnis also über die Bedeutung sämtlicher einzelner
Teile der Kulturarbeit sür Frieden und Krieg haben wir nicht. Ls
kann auch kein Mensch so verwegen sein, in einem Lebenszeitraum sie
schaffen zu wollen. Denn dann müßte er eine umfassende, einwandfreie
Gesamtkulturwissenschaft herstellen. Und doch braucht man noch nicht ein--
mal in dem Grade die „tzände in den Schoß zu legen", wie Fried das
für nötig hält. Von drei Richtungen eines dennoch möglichen Pazifis-
mus sei Hier gesprochen. Absichtlich grenze ich sie nicht logisch und
begrifflich gegeneinander ab, da ich nicht ein „wissenschaftliches" System
bieten, sondern Rnregungen zum tzandeln geben will, und da die Teile
einer lebendigen Bewegung auch immer irgendwie sich kreuzen und be--
dingen und nie abstrakt rein darzustellen sind (wie dies übrigens auch
Frieds Schema beweist).

/Lrstens: im Dienst einer gestaltenden Friedensbewegung wäre die
^Wissenschaft zu schafsen, die uns das Wesen der Kultur durch--
sichtiger machte. Damit ist keine uferlose Allgemeinwissenschaft gemeint.
Die meisten geschichtlichen Wissenschaften gehen die Friedensgestaltung
nur wenig an. Dagegen geht die bisher vernachlässigte Wissenschaft von
der Struktur, Lntwicklung und Beeinflußbarkeit der Gesellschaft, die Sozio--
logie im weitesten Sinne die Friedensbewegung viel an. Wer von der
Organisation der Wissenschaft etwas ahnt, weiß, wie sehr diese vernach--
lässigt ist. Comte und Spencer sind zwar stark veraltet und ihre Werke
erscheinen durch viele neuere mehr und mehr verdrängt, aber im Vergleich
zu den unübersehbaren Massen wissenschaftlicher Erzeugnisse haben wir
wenig soziologische. Die Friedensfreunde haben nun allen Grund, diese
Wissenschaft praktisch zu fördern. Iwar nicht, indem sie Geld an Ma--
demien verteilen. Denn die Art unserer Gelehrtenbildung zwingt die
meisten mittelbar zu einem äußerst unpraktischen und wirkunglosen Ver--
fahren. Wohl aber, indem man Aufgaben stellt, eigne Institute gründet,
Werke herausgibt usw. Wiederum nicht mit „gebundner Marschroute^
ist das alles zu bewerkstelligen. Mcht nur dreimal gesiebte Pazifisten
strengster Art sind heranzuziehen und nicht nur das Thema Krieg und
Frieden ist voranzustellen. Aber zu fördern wäre die Klarheit über
so manche Voraussetzung des Pazifismus, die heute noch unerforscht
 
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