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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

DOI Heft:
Heft 16 (2. Maiheft 1917)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Von kommenden Dingen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0181

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so, dem andern anders zuernander geordnet oder in sich ausgerichtet er>
scheinen; einzig die Frage stellt das Buch: vermagst du zu glauben an
diese meine Werte? Darum sei erlaubt, mögliche Wirkungen des BucheS
von den „kommenden Dingen" anzudeuten, und so seinen Inhalt ein
wenig zu verdeutlichen. Mancherlei Bücher, welche dieses Verfahren for-
dern, sind in dieser Zeit erschienen. Äberall regt sich das Mißtrauen
gegen „Kritik", weil wir schon wissen, daß alles, schlechthin alles durch
Kritik zur Mltäglichkeit herabgewertet werden kann, wenn der Besprecher
den dafür zweckmäßigen Standpunkt findet. Und weil wir sehen, wie»
viel wertvolle Erlebnismöglichkeiten Kritik solcher Art abschneidet. Kritik
in diesem Sinne ist „wissenschaftliches" Verfahren, abgeleitet aus der
Äbung einer jahrzehntelang entwickelten Wissenschaft von den Dingen
und den mannigfachen Möglichkeiten, sie zu begreifen. Im Kreis der
degreifbaren Dinge aber liegt nicht das, was wir erst wollen, liegt
nicht das Kriterium der Werte, für die wir uns einsetzen wollen. Gegen
eine Krisentheorie oder eine mathematische Relativitätlehre kann man
Beweisgründe aus jenem Kreise holen und verwerten, gegen Björnson,
Tolstoj, tzanslik, Rathenau wachst dort kein Kraut. Die Entscheidung
des Lesers von Rang kann nur sein: ich verstehe oder ich verstehe nicht,
ich glaube oder ich glaube nicht, ich stimme zu oder lehne ab — immer
unter Vorbehalt dessen, was in Einzelheiten ihm ebenso, ähnlich oder
änders als dem Verkünder erscheint.

Der „geschichtlich geschulte" und „geschichtlich denkende" Gelehrte unsrer
Zeit wird Rathenaus Buch mit Mißbehagen aufnehmen. Nicht etwa nur»
weil er den Typus des Gelehrten etwas hochfahrend behandelt. Sondern
vor allem, weil er von offenbar unbeweisbaren Dingen im Tone der
Sicherheit spricht, weil er sich gegen Logik und Erkenntniskritik, gegen
Philosophie überhaupt ziemlich ablehnend verhält, weil er zwar mögliche,
aber nicht gewisse Ziele der Entwicklung als erreichbar und erstrebenswert
hinstellt, weil er über Weltwirtschaft, Soziologie und Politik auf wenigen
Seiten urteilt, als ob er geradezu alles wüßte. Der Gelehrte weiß, nach
Iahrzehnten der Forschung, daß man eben nicht alles wissen kann. So
wird er die Voraussetzungen Rathenaus widerlegen uud sein Buch unter-
höhlen, bis es von selbst in den Papierkorb fällt. Oder aber, er wird es,
wenn er auf höherer Stufe steht, als „Atopie" nehmen und daraus an
einzelnen Theorien soviel für seine Einsichtmehrung verwerten, wie ihm
möglich ist.

Schlimmer werden die ästhetizistischen Geister damit verfahren, zu denen
auch die gutgläubigen Schwärmer und die vielen Gläubigen der baldigen
Besserung gehören. Sie werden an der Kritik ihre Freude Haben, welche
Rathenau an Philosophie und Wissenschaft — zwei sehr unbequemen
Mahnern zur Sachlichkeit — übt, werden sich trotz aller Anpersönlichkeit,
trotz allem abweisenden Stolz der Rathenauschen Sprache einfühlen in
die gläubige Innigkeit seines Wollens und das schön gebundne Werk
zu anderen — Sensationen ihres Bücherschrankes einreihen.

Di-e Praktiker und Politiker werden für Rathenau, einen der erfolg»
reichsten Wirtschaftbeherrscher unsrer Zeit, viel Achtung, aber keine —
 
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