Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

DOI Heft:
Heft 16 (2. Maiheft 1917)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Von kommenden Dingen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0182

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Zeit haben. Lesen sie ihn doch, so werden die Unfähigeren Mißtrauen
und das Gefühl beibehalten, einer Schrulle des erfolgreichen Mannes
gegenüberzustehen; die Fähigeren werden vielleicht aufhorchen und je
nachdem Kampf oder Zustimmung ansagen.

Doch nun bin ich schon bei den Wirkungen des Buches auf die Seele.

T

^ber der kommenden Aeit „steht Verleugnung unsrer liebsten Eitelkeiten,
^Schwächen, Laster und Passionen, über ihr steht die Pflicht zu Empfiw-
dungen und Taten, die wir heute theoretisch preisen und praktisch ver»
höhnen; über ihr fteht die schwere Erkenntnis, daß wir nicht zum Glücke
streben, sondern zur Erfüllung, daß wir nicht um unsertwillen leben,
sondern um des Gottes willen". „Nicht Furcht und nicht tzoffnung sind
die treibenden Gewalten. Nicht düs verständige Streben nach mechani-
schem Gleichgewicht, nicht Güte und selbst nicht Gerechtigkeit. Sondern
Glaube, der aus Liebe entspringt, tiefste Not und Gottes Wille.^ „Der
heiße Drang der Seele besteht; und mehr noch, er ist von allem Erleben das
Realste. Wage es, ihn und nicht das erdacht Absolute zur Lemporären
Achse unsres Erlebens zu wählen, so gewinnt das Dasein seinen Sinn
zurück.« — In diesem Tone haben schon Viele geredet? Ia! Ich lasfe
ihn auch aus Rathenaus Buch nicht herüberklingen, um dessen Geist restlos
dadurch zu kennzeichnen. Er deute hier nur den äußeren Umkreis an,
die Stimmung, auf die sich abstimmen muß, wer Aathenau nachgehen
will. Wer ihn nicht Hören kann und mag, stehe ab. Wer bei seinem
Erklingen aufhorcht, folge weiter. Er ist das erste Erlebnis, das Ra-
thenau Lmpsänglichen bereitet: freie Luft, Mut zur Innerlichkeit, Mut zu
einer unbewiesenen Wahrheit. Nach kurzer Einleitung dieser Art aber
geht Rathenau über zu dem, was alle bindet und bewegt, zu dem, was
zu erkennen und umzugestalten ist, wenn überhaupt etwas erkannt und
umgestaltet werden muß: zur Lebensordnung der Welt. Auf der
ersten Seite schon fällt das Stichwort, und hier gewinnt Rathenau das
Ohr derer, die wissen, daß nichts Bedeutsames begriffen wird, wenn nicht
zuvor das Wesen der Lebensordnung begriffen wurde, in deren Kreise
es wird, ist oder werden soll. Er versucht eine Darstellung unsrer Lebens-
ordnung, ihrer tzauptfunktionen, ihrer guten und schlechten Wirkung auf
den Menschen. And setzt ihr gegenüber das Bild einer anderen, deren
Wirkung minder bsse sein wird. Diese leitet er ab aus dem „Aiel^ und
aus der Möglichkeit, die gegenwärtige Lebensordnung im tzinblick auf
das Ziel ohne Bruch und Sintflut umzugestalten. Das ist die tiefste Wir-
kung, die sein Buch haben kann: hinausführen über die dumpfe Niede-
rung, in der wir unwissend den Zwang der Lebensordnung auf uns er-
leben, hinauf zu der Warte freier Erkenntnis und jenseits ihrer hin zu
dem Punkte, wo wir wollen können, weil wir neue Möglichkeiten sehen
und mit diesem Gesicht den Mut gewinnen, Ziele zu setzen. Das ganz
besondre Geheimnis Rathenaus aber ist dies: als Darsteller vereinfacht
er bis zum Außersten, so daß Verwickeltstes leicht übersehbar wird; dabei
verliert er aber wesentliche Wirklichkeiten nicht aus dem Gesichtkreis —
 
Annotationen