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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

DOI Heft:
Heft 16 (2. Maiheft 1917)
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Schumann, Wolfgang: Von kommenden Dingen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0185

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der Arzustand rm Lebensgleichgewicht eines Waldes, verbreitet sie eine
Weltstimmung, die, rückwärts gewandt über die frühe Arbeit des Chri»
stentums, über die politische und theokratische Ethik der Mittelmeerkultur
Hinweggreifend, unter der Deckung und Maske der Zivilisation abermals
auf primitive Menschheitszustande hinstrebt. Denn diese Stimmung ist
Kampf und Feindschaft."

Und ist dies alles die Lebensordnung der heutigen Lrde, was sollen
wir denn tun, was glauben? Rathenau antwortet: „Es ist Zeit zum
Anbruch der Seele^ Nicht Intellekt wird uns den Weg weisen, sondern
Intuition und der Stern über uns. Ihr Leitgedanke: „Daß Seelenrich-
tung des Lebens und Durchgeistung der mechanistischen Ordnung das
blinde Spiel der Kräfte zum vollbewußten, freien und menschenwürdigen
Kosmos gestalte." „Wachstum der Seele^, nicht „Steigerung des Wohl-
standes^, nicht „Gleichheit", wohl aber „menschliche Freiheit" sind die
Losungworte.

^.on Rathenaus praktischen Forderungen in diesem Zusammenhange nur
^die Hervorstechendsten. Wirtschaftliche: „Regelung des Verbrauchs; Zölle,
Steuern und Abgaben auf Luxus und übermäßigen Verbrauchsgenuß";
„Vermögen- und Einkommenbesteuerung^; „Kampf gegen private und per-
sönliche Monopole^; „oberhalb einer mäßigen Vermögenseinheit gehört
jeder Nachlaß dem Staat". Geistige: Weg mit Machtsucht und Besitzgier
und dem „Eigenwillen des Familienstammes", dafür sachliche Arbeit,
Liebe zur Sache, Freiheit des Wollens, Freiheit zur Verantwortung, Liebe
statt Fremdheit, Feindschaft, Mißtrauen, Solidarität statt des Kampfes
aller gegen alle, „Aberwindung banaler Klugheit durch die Sicherheit
seelischen Rrteils, Verankerung der menschlichen Bewegung und Gesel-
lung im Transzendenten und Absoluten. Politische: Umwandlung des
gegenwärtigen Staates in einen Volksstaat, „Organokratie" statt Oligarchie,
Reform des Parlamentarismus, Ersetzung der Ortswahl durch Propor-
tionalwahl, AusgestalLung des Parteiwesens, volle Freiheit des Aufstiegs
der Berufenen. Den ersten „Schritt ins Reich des Künftigen^ aber be-
deutet die Rmstellung des Wirtschaftbegriffs auf den Satz: „Wirtschaft
ist Sache Aller^. Von Hier aus werden wir zuerst begreifen, daß der
Staat anders sein muß, als er je war.

^as alles mag mystisch genug, utopisch genug, revolutionär bis zum
-vAnglaubhaften klingen. And doch wird, wer dergleichen Möglichkeiten
heute noch nicht ins Auge fassen kann, der Zukunft nimmermehr ge-
wachsen sein. Sie mit verantwortungbewußtem Gestaltersinn prüfen, ist
Sache Weniger, der Versuch, sie in sich zu verarbeiten, liegt jedem Ge-
bildeten als dringliche Aufgabe ob. Zwei Einwände seien noch be-
schwichtigt. Vielleicht fragt mancher, ob es denn möglich ist, die Dinge
der Welt so einfach zu sehen und mit ihnen so kurz angebunden um-
zugehen wie Rathenau, ohne sie einer Theorie, einem Wunsch zuliebe
zu vergewaltigen. Der Einwand stammt aus wissenschaftlicher oder pseudo-
 
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