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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 16 (2. Maiheft 1917)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0205

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ausspeien zu können, nur dcrs sollte
sich selbst niemand zulassen.

Die Starken inzwischen werden
die andere Seite erkennen, das Hel--
fen und Fördern und Füreinander-
sein bis in den Tod, das doch eben
auch da ist, ja vielleicht das (Lrste,
vielleicht erst der Grund des Kamp«
fes ist. Sie werden Klingers „And
doch!" sprechen. Oder jenes Goethe-
sche Symbolum:

„Die Zukunft decket
Schmerzen und Glücke.
Schrittweis dem Blicke,

Doch ungeschrecket,

Dringen wir vorwärts,

And schwer und schwerer
tzängt eine tzülle
Mit Ehrfurcht. Stille
Ruhn oben die Sterne
And unten die Gräber.

Doch rufen von droben
Die Stimmen der Geister,

Die Stimmen der Meister:
tzier winden sich Kronen
In ewiger Stille,

Die sollen mit Fülle
Die Tätigen lohnen!

Wir heißen euch hoffen!"
_ Bonus

Leo Sternbergs neueste
Dichtungen

er echte Kulturhistoriker muß
immer ein Stück Künstlertum in
sich haben, sonst wird er keine leben-
digen Bilder aus den Resten der
Vergangenheit schaffen können. Der
wirkliche Dichter wird auch ein guter
Kulturhistoriker sein können, wenn
er außer der Gestaltungkraft die
Fähigkeit hat, sich in die kleinsten
Einzelheiten zu verlieren, um aus
ihnen das Wesenhaft-Große heraus-
zusehen und zu gestalten. Daß
Sternberg ein guter Kulturhistoriker
sein kann, zeigten seine Arbeiten
über den Westerwald. Daß er als
ein wirklicher Dichter aus toten
Resten der Vergangenheit neues
Leben hervorlockt, zeigt sein un--

längst erschienenes Buch „Der Ve-
nusberg", däs eine Anzahl hei»
matlicher, namentlich rheinischer Ge--
schichten enthält. Sternberg versteht
es meisterhaft, grandiose Skizzen
aus der deutschen Vergangenheit
zu geben, so, wenn er in der Er-
zählung „Das gerettete Deutschland"
uns den Kurverein zu Rhense in
seiner Bedeutung hinzeichnet, oder
wenn er den jungen Bismarck malt
und dessen Kampf am Scheidewege
zwischen dem Glück des Lebens für
sich und des Lebens für andere.
Gin tiefinnerliches Einssein des
Dichterherzens mit seiner lieben
tzeimat ist die Ouelle, aus der die
kleinen Kunstwerke hervorgegangen
/ind. Sternberg sieht das Große im
Kleinen. (Lr ist ein Freund des
Seltenen im Alltäglichen, und so
rauscht ihm selbst das „Rarzissus-
brünnlein", wie es den beiden Men-
schen in der Novelle rauscht. So
kann er auch das Seltsame dar-
stellen, wie in „Maya", die Furcht
des Apothekers vor der Rache der
Natur gegen den Tyrannen Mensch.
Wie E. T. A. tzoffmann vermag er
hier und im „Müller tzeibel" grau-
sig geheimnisvoll zu wirken trotz
des nüchternen, in hellen Tages-
farben gearbeiteten Stoffes. Nnd
die Gestalt des Müllers hat etwas
an Kleists Michael Kohlhaas Er-
innerndes, ohne dabei von ihrem
Ligenwuchs zu verlieren. Nach der
andern Seite zeigt Sternberg die
männlich-heitere Art eines Gott-
fried Keller, die das Derbe wie das
tzolde und Zarte faßt, wenn er
Geschichten wie die vom Vennsberg
oder von der Eisjnngfrau erzählt.
Eine große Weite des Erlebnisses
und ein volles Gesättigtsein des
Erlebens bekunden alle diese No-
vellen, die daher schwer in ihrer
Art sind und ein fleißiges Einlesen
von dem erfordern, der sich wirk-
lich Kunstgenuß holen will.

Diese selbe Weite entfaltet auch

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