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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 17 (1. Juniheft 1917)
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Hoffmann, Paul Theodor: Zu Herweghs Jahrhunderttag
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0245

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keit, von tzoffnung und BangigkeiL, von Machtgefühl und drohendem
Verhängnis, von Liebe und haß, von Offenheit und verstecktem Groll.
Das Wissen von den Geschehnissen damals, wie wir es aus Mten-'
stücken schöpfen könnten, würde uns aber jene eigenartige Reichstag-
stimmung kaum so hervorzaubern können, wie das kleine Gedicht Wal»
Lhers tut. And warum vermag es dieses Lied? Weil es das Werk
eines wirklichen Dichters ist. Walther sagt seine Ansicht klipp und
klar. Er faßt in naiver Weise das Geschehen unmittelbar. Er ver-
dunkelt es nicht durch rhetorischen Phrasenschwall. Walther ist ein wirk-
licher politischer Dichter.

b^och warum sprechen wir soviel von Walther, ehe wir uns tzerwegh zu->
^wenden? Weil der von der Vogelweide ein Beispiel dafür ist, wie
der wahrhaft große politische Dichter wirkt. Woran mag es liegen, daß
bedeutende Dichter dieser Gattung so selten sind? ELwa daran, daß,
soweit die WelLgeschichte führt, zwei Menschentypen noch nicht vollkom--
men vereint gefunden sind: der große Politiker und der große Staats-
mann? Es hat zwar dichterisch begabte große Staatsmänner gegeben,
aber ihre Poetenbefähigung ging nicht über das achtbare Mittelmaß
hinaus, und ein Dichtergenie wie Goethe war wohl ein tüchtiger, aber
kein überragender SLaatsmann. Oder HLngt es damit zusammen, daß
reinpolitische Dichtung deshalb so selten einen überzeitlichen Wert be-
hält, weil sie sich in den Dienst der Politik zu stellen Pflegt und über
diesem Dienst ihre letzte Aufgabe, Kunst zu sein, nur zu leicht vergißt?
Kunst aber will das Gleichnis im Vergänglichen, will das Ewige fest--
halten. Ie tiefer das Gedicht im Zeitlichen steckenbleibt, desto geringer
wird ihr Wert sein. Ie voller es erfaßt, was hinter dem mechanisch-
zeitlichen Ablauf liegt, desto bedeutender wird es. So ist Walther des«
halb als politischer Dichter groß, weil seine Gedichte nicht der Ausdruck
kleinlichen Parteihaders und bloßen äußeren Geschehens sind, sondern
des GesamLgeistes des von ihm erlebten Zeitalters überhaupt. Darum
dauern die Römeroden von tzoraz durch Iahrtausende als Kunstwerke,
weil in ihnen die Kaiserzeit des Augustus Ausdruck gefunden hat. Der
Dichter muß von der niederen Zinne der Partei zur höheren Warte
streben: nur von Lynkeustürmen aus läßt sich Großes fassen und ge-
stalten.

Much politische, besser gesagt: erst recht politische Dichtung verlangt Ent«
^-wicklung des Dichters. Vei Georg Herwegh finden wir keine. Das ist,
um es vorwegzunehmen, wohl das Traurigste an seiner Persönlichkeit. In
der Iugend ein Schwärmer und Idealist von hinreißendem jugendlichen
Feuer, war er der Empfänglichsten einer. Dazu war er seit langem der beste
deutsche Rhetor. Er verstand es, zu sagen, was das Volk litt. Er konnte
in leicht strömenden und doch nicht seichten Versen die gärende Gedanken-
flut der revolutionsschwangeren Zeit zum Ausdruck bringen. Es waren
wirklich die „Gedichte eines Lebendigen", welcher der stammelnden Menge
den Mund lösen konnten. Aber er war selbst unklar und er hatte weitaus
nicht die nötige Selbstzucht, um sich zu festigen und zu klären, geschweige
denn andere. Draußen ging er mit der Iakobinennütze und zu tzause im
Schlafrock. In den Gedichten begeisterter Soldat, im wirklichen Leben
württembergischer Deserteur. Sein kindlicher Brief an den König „im
 
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