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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 17 (1. Juniheft 1917)
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Hoffmann, Paul Theodor: Zu Herweghs Jahrhunderttag
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0246

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Stile der kecksten Tertianer", wie Heinrich Heine sagte, und sein Verhalten
bei dem Badener Putsch zeigen, wie wenig er dem wirklichen Leben ge«
wachsen war. So taugte er weder zum Führer, noch zum politisch«dichteri«
schen Lynkeus. Der einst von Königen wie von Arbeitern Geehrte starb
als Mensch vergrämt und vergessen. And seine Dichtung?

Seit seiner ersten Gedichtsammlung war er im Grunde „fertig". Iedes
weitere Wachsen und Werden hörte aus. Soviel er auch später noch in
Zürich und auf Reisen studierte, alles Wissen blieb ihm toter Besitz,
aufgespeichert in seinem tzirn, in ein Erleben und in ein Gestalten ver-
wandelte sich nichts.

Von seinen Gedichten ist aus der späteren Zeit wohl nur die „Arbeiter-
marseillaise" bekannt. „Bet und arbeit! ruft die Welt." Die Studenten
singen noch heute gern sein Reiterlied „Die bange Nacht ist nun herum"
und das Rheinweinlied „Der Rhein soll deutsch verbleiben". Wer aber
liest noch etwas von tzerweghs politischen Dichtungen? Kaum einer
kennt noch das einst ganze Völker entzündende

„Reißt die Kreuze aus der Erden!

Alle sollen Schwerter werden."

Kaum einer weiß noch etwas von dem Liede „Der Freiheit eine Gasse"
und „Vive la Republique".

Ie älrer er wurde, desto williger gab er sich zum Sprachrohr der allzu
Vielen hin, desto minder vornehm wurde seine Kunst. Wohl hatte er als
Iüngling einmal den Wunsch, sich zu vertiefen, zu wachsen:

„Ich wollte — ja, ich habe mich vermessen —

In diesen Bergen suchen nun mein Glück;

Ich wollte, ach! und konnte nicht vergessen
Die Welt, die ich im Lale ließ zurück.

O, wie verlangt mich nach dem SLaub der SLraßen,

Dem Druck der Not da unten allzumal!

Wie nach den Feinden selbst, die ich verlassen,

And nach der Menschheit vollster, tiefster Oual!

Ihr glänzt umsonst, ihr Purpurwolkenstreifen,

Und ladet mich, gleich selgen Engeln, ein;

Ich kann den Himmel hier mit Händen greifen
Arrd möcht doch lieber auf der Erde sein."

Diese Elegie klingt in die berühmten Verse aus: „Ich möchte hingehn
wie das Abendrot". Daneben gibt es nur einiges Wenige noch, was wir
wirklich nicht missen möchten, und das Wenige ist zumeist das An--
politische. So eine Reihe der Sonette, deren äußere Form tzer-
wegh, hierin ein Schüler Platens, vollendet beherrschte. Oder einzelne
Strophen, mit denen eine echte Stimmung das Rhetorische zurückdrängt,
ohne daß doch auch sie zu starken Anschauungen sich verdichteten. Setzen
wir zum Schluß noch die erste und die letzte Strophe des „Ganges um
Mitternacht" als Proben aus den besten Gaben her, die er bilden konnte:

»Ich schreite mit dem Geist der Mitternacht
Die weiten stillen Straßen auf unb nieder —

Wie hastig ward geweint hier und gelacht

Vor einer Stunde noch! . . . Run träumt man wieder.
 
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