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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 17 (1. Juniheft 1917)
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Kaindl, Raimund Friedrich: Eine Lanze für die Karpathendeutschen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0248

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Angarn und Galizien zogen endlich Deutsche in die Walachei und Moldau,
also in die Gebiete des heutigen Rumäniens und in die Bukowina.
Wie in den anderen Karpathenländern sind hier seit dem Iahrhundert
viele Deutschsiedelungen nachweisbar. Nur kurz sei auch erwähnt, daß
die Deutschen schon damals bis in das ferne Kiew drangen.

In allen diesen Ländern verbreiteten unsre Ansiedler höhere Kultur
und legten die Grundlagen für geistigen und materiellen Aufschwung.
Alle Zweige der Landwirtschaft, Bergbau, Handel und Gewerbe, Künste
und Wissenschaften wurden von ihnen erfolgreich gefördert. Weithin
herrschten deutsche Sitten und Bräuche. Deutsches Recht fand überall
Verbreitung, denn es galt für das vollkommenste und die einzige Grund-
lage des Fortschritts. In Tausenden von Orten wurde es eingeführt; das
gesamte Stadtwesen des Ostens beruht auf ihm. In unzähligen Ilrkunden
wird das deutsche Recht und die deutsche Ansiedelung von den einheimi«
schen Großen als die Ouelle alles Fortschrittes gepriesen. Weit über die
Karpathen hinaus bis tief nach Rußland drang deutsches Stadtrecht und
deutsches Zunftrecht. So schien das Deutschtum in den letzten Iahrhun-
derten des Mittelalters in einem unaufhaltsamen Siegeszug begriffen.
Wer mit ihm in Berührung kam, zog Vorteil daraus. Aber auch diese
Deutscherr selbst kamen nicht zu kurz. Reicher Erwerb floß ihnen zu; die
Erzeugnisse ihres Gewerbefleißes fanden im Osten lohnenden Abfatz, und
unerschöpfliche Massen von Rohprodukten führten sie in die Mutterländer
zurück. Im Schutze dieser vorgeschobenen Ansiedelungen haben sich die
weiter zurückliegenden dem deutschen Kulturkreise völlig angeschlossen.
Dieser hätte immer mehr an Amfang zugenommen, wäre der Zug der
Deutschen nach dem Osten nicht allzufrüh unterbrochen worden.

Mit dem Ausgange des Mittelalters traten Verhältnisse ein, die die
geschilderte Entwicklung störten. Der einheimische Adel war dem auf-
blühenden deutschen Bürgertum und dem freien Bauernstand feindlich
gesinnt. Vom Mutterlande, das von politischen und religiösen Wirren
unausgesetzt heimgesucht wurde, konnten die Ansiedler keine Förderung
und keinen Schutz erlangen. Gleichzeitig führten im Osten die Türken-
kriege und andere Kämpfe einen allgemeinen Riedergang herbei und
unterbanden jede ersprießliche Kulturarbeit. Zu dem allen kam die Ent-
deckung des Seeweges nach Ostindien, die dem tzandel und Wandel ganz
andre Richtungen wies, den Osten Europas aus dem großen Verkehr aus-
schaltete und den reichen Ouell des Wohlstandes den Deutschen des Ostens
abschnitt. Die Entdeckung Amerikas hat schließlich dem Aberschuß an
deutscher Volkskraft neue Wege gewiesen. Ünzählige Deutsche, die früher
im Osten Arbeit und tzeimat gesucht hatten, wanderten fortan übers große
Wasser. So sind die herrlichen Errungenschaften der letzten Iahrhunderte
des Mittelalters verloren gegangen; unzählige deutsche Ansiedlungen im
Osten sind aufgegeben worden, die den Deutschen ein ausgedehntes Wirt-
schaftsgebiet sicherten und dem Mutterlande eine Schutzwehr gegen die
Gewalten des Ostens geworden wären. Zugleich sind ausgedehnte Ge-
biete dem Einfluß fremder, unserm Kulturkreise fernstehender, ja feind-
licher Kräfte überlassen worden.

Die bedauernswerten Versäumnisse von Iahrhunderten konnte die ge-
wiß sehr verdienstvolle Sorge Karls VI., Maria Theresias und Iosefs II.
um die Besiedelung ihrer Länder nicht vollständig gutmachen; sie war
viel zu beschränkt und vermochte nur teilweise die Lücken zu ersetzen.
 
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