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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 17 (1. Juniheft 1917)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0255

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spielen sah, im Frühling. Der
Iunge arbeitete mit rotem Gesicht
an einer Weidenflöte, und das
Mädchen suchte auf der Wiese nach
Blumen und Weidenknöpfchen, trug
hin und wieder dem Iungen eini-
ges hcrzu, sprach mit ihm ein paar
Worte, der nickte, ging wieder; und
so lange Zeit. Ich stand eine ganze
Weile da, hinter den Bäumen, kam
aber nicht hervor und ging dann
langsam und nachdenklich meines
Wegs.

Denn: man muß als „Großer"
wohl auch die nötige Scheu haben,
in das Kindsein da herein zu tre-
ten, wo man stören würde oder
stören jkönnte. Behutsamkeit ist not.
Neben aller Behutsamkeit aber nun
wohl auch das Mitfühlen dessen,
der da erkennt: sieh da, das kleine
Leben, an dem ich lang vorbeisah!
Nicht, daß er glauben soll, er er-
kenne es alles schon gleich auf den
ersten Blick, — das Geheimste und
Verborgenste erfordert oft die stärkste
Bemühung des Geistes und der
Seele.

Habt ihr bedacht, ihr Eltern,
wenn eure Kleinen zum erstenmal
mit ihrem schweren, schweren Tor-
nister (ein Täfelchen, ein Fibelchen
und ein paar Griffel sind darin)
der Schule zuwandern, was für
Welten da kreisen in kleinen Köp-
fen; tzoffnungen, Wünsche, Befürch-
Lungen, Angste? Das einfachste ist
wohl oft so schwer zu begreifen;
also dies: daß Schule nicht bloß so
Schule ist, — sondern den Kleinen:
Beginn eines ganz großen neuen
und schweren Lebens. — Ach, nicht
wahr (und habt ihr's selbst nicht
vergessen): die schönen, neuen, bun-
ten (ach so bunten) Griffel schreiben
sich zu ganz armseligen Stümpeln
ab, und eines Tages ist die Schie-
fertafel „kaputt". Und du, Mutter,
schiltst noch das weinende „unacht-
same" Kind!

So schleppt sie sich hin, die

Seele des Kindes, zwischen man-
chem kleinen Glück und vielem An«
verstandensein. Hier ein Symbol:
spielende oder spazierengehende Kin--
der in hellen Kleidern im Sonntags-
sonnenschein. And dann der schwer-
mütige Abend — : morgen ist wie-
der Alltag, und Schulbeginn; und
oben am Markt das Schulhaus
wirft große Schatten langhin in der
Abendsonne.

Sollten wir als erste und drin-
gendste Sorge nicht dies bedenken,
wie wir Freude, viel Freude ins
Leben bringen? Vor allem ins
kleine Leben der Kinder? Sollte
das nicht auch die erste „pädagogi-
sche" Sorge sein?. . .

Fragt aber nun einer, was ich
denn eigentlich „wolle^, so kann ich
nur antworten: „Die Aufgabe zei-
gen!" Mchts mehr. Das „andere",
das Tun, das müßt ihr selber fin-
den. sir^ Karl Röttger

Neuorientierung — Neu-
richtung

edes Wort besteht durch die Not-
wendigkeit seines inneren Wesens.
Diese offenbart sich in seiner Be-
deutung. Befriedigt sie die An-
sprüche auf Inhalt und Verständ-
lichkeit in einzigartiger Weise, dann
hat das Wort sein ausschließliches
Recht auf Anwendung bewiesen und
dann kann ihm auch Sitz und
Stimme in unsrer Sprache nicht
versagt werden. Daraus ergibt sich
die Frage, ob das Wort Neuorien-
tierung, das heute mit der Schnel-
ligkeit eines Schlagwortes um sich
greift, allein die Fähigkeit hat, das
Wesen der Sache, die wir darunter
verstehen, treffend auszudrücken. Es
bleibt die Möglichkeit zu prüfen,
ob unsre Sprache imstande ist, einen
vollgültigen deutschen Ausdruck da-
für aus ihrem Schatze hervorzu«
bringen. Wenn dann hinzukommt,
daß seine sprachlichen Eigenschaften
denen des Fremdworts überlegen

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