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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 18 (2. Juniheft 1917)
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Weltpolitisches: Bücher der Zeit 11
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0307

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(„Die europäischen Großmächte") über zur Darstellung der internationalen
Politik von Bisrnarcks Rücktritt an. Nur die Hauptzüge des politischen
Erlebens kommen zur Geltung, die Kriege, Krisen, Verträge, Konferen«
zen, Mächtegruppierungen usw. Dabei ist dreierlei bezeichnend: die ge«
ringe Rücksicht auf die Arsachen der politischen Vorgänge, von denen
Geographie, Ereignisse und Entwicklungen der inneren Politik, des
Weltwirtschaf-lebens, der Völkersoziologie hier genannt seien; ferner
die Vernachlässigung sehr deutlicher und aufklärender, obzwar an sich
geringfügiger „Anzeichen", wie etwa der Doggerbankangelegenheit, ge-
wisser Ereignisse im tzaag und in der Friedensbewegung überhaupt, und
zahlreicher anderer, besonders solcher, die außerhalb Europas auftauchten;
endlich der gänzliche Mangel an Nachweisen: zahlreiche geschichtliche Mit«
teilungen wirken in dem Buch wie Vermutungen des Verfassers, die er
wohl auf Belege stützen könnte, andere sind tatsächlich nur Vermutungen.
So kommt der Gesamteindruck einer etwas verschwimmenden, im ganzen
sachgemäß angelegten, im einzelnen unsicheren und nicht zwingenden
Darstellung zustande. In der Sache läßt das Buch den Wandel er--
kennen, den die öffentliche Meinung vor allem über England erfahren
hat. Mehr als in der Vorkriegszeit üblich war — manchem freilich noch
nicht genug — wird Englands Weltpolitik ans Licht gezogen und ver-
urteilt. Merkwürdigerweise findet der Verfasser trotzdem für Englands
Verhalten im Iuli und August recht milde Worte. Das Fehlen einer
wirklich weltpolitischen und tiefen Gesamtanschauung rächt sich da bei der
Auslegung der letzten diplomatischen Schachzüge. In andern Fällen
meidet tzerre sehr entschiedene Beurteilungen nicht. So nennt er wun-
derlicherweise den russisch-japanischen Krieg einen „zerschmetternden Schlag
gegen Rußland" — er war dies ungefähr in dem Maße wie die bis-
herige italienische Kriegführung für Österreich — und das Krüger-Tele-
gramm einen „vom Geist der politischen Sittlichkeit getragenen Einspruch
gegen die Gewalttätigkeit britischer Kolonialpolitik" seitens des „wach-
samen Wortführers europäischen Rechtsempfindens^ — politisch bewertet
gehören solche Redewendungen wohl in das Gebiet des schädlichen Dilet-
tierens. Aberhaupt scheint mir der bescheidene Aufklärungswert dieser
Art von Schriften, die für den Erfahreneren viel zu wenig Wissensstoff
bringen, nicht ihre Schädlichkeit zu überwiegen. Diese liegt darin, daß
sie dem unerfahrenen Leser eine oberflächliche Ansicht vom Wesen der
Politik suggerieren, etwa als ob diese unmittelbar und ziemlich allein ab-
hängig vom Belieben gewisser politisch tätiger Persönlichkeiten, Amter
und Gruppen sei. Wir haben allen Grund, die Politik dem deutschen
Volke als tiefer verankert in den geographischen, wirtschaftlichen, inner-
völkischen und soziologischen Verhältnissen der Welt darzustellen.

Wie wenig die deutsche Weltpolitik der letzten Iahrzehnte und die
gegenwärtige weltpolitische Anschauung der Dinge in Deutschland jener
Berufungen auf nichtpolitische Rechtfertigungen bedarf, das beweist wieder
einmal ein Buch, worin die politische Geschichte seit der Reichsgründung
geschildert ist: I. tzashagens „Ümrisse der Weltpolitik (87^—WH". Wo
die Tatsachen so „sprechen", wie in dieser Darstellung, wird von selbst
jedes zugesetzte Wort überflüssig. Zwar vermeidet tzashagen auch nicht
völlig die leidigen Vermutungen, wenn sie auch nur in Rebensätzen
oder in einzelnen Worten, wie „offenbar", „anscheinend^ u. ä. auftreten.
Aber sie stehen fast immer nur da, wo die Quellen des Wissens versagen.
 
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