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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 18 (2. Juniheft 1917)
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Herter, Hans: Zur Frage der Einheitsschule
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0312

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sehr unzulänglich gelöst hat. Schon die Einteilung der Schrift überrascht.
Die mehr als zwanzig Seiten des ersten Kapitels tragen die Aberschrift
„Die deutsche Schule, wie sie ist^; eine durchaus schiefe Aberschrift, denn
Tews schildert darin einseitig die Mängel^ und zwar nur die organi«
satorischen Mängel des deutschen Schulwesens. Sachlich richtig wäre die
— allerdings auch nicht schöne — Aberschrift: „Was in der Heutigen
Schulorganisation dem Einheitschulgedanken widerspricht". Die von Tews
gewählte erweckt falsche Erwartungen und damit Widerspruch — genau
das Gegenteil des Wünschenswerten. Das zweite Kapitel bringt dann
„Beschlüsse und Forderungen des Deutschen Lehrervereins". Diese 2( Sei«
ten enthalten alles, was die Schrift über das Wesen der Einheitschul«
organisation überhaupt bringt. Das ist viel zu wenig. Schwerlich wird
auch nur ein nicht vorbereiteter Leser aus ihnen volle Klarheit über die
Sache schöpfen. Tews hilft sich da mit tzinweisen auf Kerschensteiner, mit
einem Vergleich mit dem Verkehrswesen, er widerlegt hier und da Ein-
wände, wehrt vom Lehrerverein unberechtigte Vorwürfe ab, streift das
schwere Problem der staatsbürgerlichen Erziehung, streift flüchtig so schwie-
rige Fragen, wie die der Aberschätzung der fremden und der „toten"
Sprachen und des Arbeitunterrichts, verweilt aber lange bei der Frage der
Simultanschule — kurz: undeutlicher und weniger wirksam war dieses
wichtige Stück der Schrift kaum denkbar. Ilnd so geht es fort. Wo er
die (abgestufte) AnentgeltlichkeLt der Einheitschule fordert, bringt er finan-
zielle und statistische Berechnungen, an zwei späteren Stellen wiederholt
und ergänzt er diese, das lange Kapitel „Bedenken gegen die Linheit-
schule" wächst sich aus zu einer gar nicht dahin gehörigen, etwas ober-
flächlich liberalistischen Sozialphilosophie, während manche sachliche Be-
denken — die z. B. Fischer erörtert — gar nicht erwähnt werden, das
Kapitel „Wege zur Einheitschule" bringt eine willkürliche Auslese von
neueren städtischen und parlamentarischen Beschlüssen in der Richtung
des Einheitschulgedankens, in der wichtige Einrichtungen (München, Mann-
heim) nicht einmal erwähnt und keine einzige anschaulich geschildert ist.
Für die „Folgen der Einheitschule" hat Tews — drei Seiten, obwohl
gerade Hier Gelegenheit war, die mannigfaltigsten werbenden Gedanken
und Zukunftbilder darzulegen; und selbst diese drei Seiten bringen im
wesentlichen wieder sozialphilosophische Allgemeinheiten. Aber nicht ge-
nug mit alledem. Ein Ton mühsam zurückgehaltener sozialer Verbissen-
heit macht das Buch selbst für den Freund des ganzen Gedankens schwer-,
für den erst zu Gewinnenden, geistig zu Aberwindenden wohl fast un-
erträglich.* Es ist sehr schade um die so versäumte Gelegenheit, eine
wichtige kulturpolitische Wirkung zu erzielen. Daß die Schrift trotz alle-

* Dem „armen Leufel", dem alle besseren Schulen „gesperrt" sind, während
die Vorschulen der Reicheren den Gemeinden „goldne Eier" legen und die
besseren Schulen „lediglich" „einseitig nach den Wünschen und Verhältnissen
einer kleinen Minderheit von Wohlhabenden zugeschnitten" sind und „der
Eitelkeit vieler Eltern entgegenkommen, die für ihre Hosenmätze eine beson-
dere Schule für erforderlich halten", dem armen Leufel also wird der „aka-
demische Hochmut" und das „eigensüchtige uüd engherzige Verhalten" solcher
Kreise gegenübergestellt. Wir kennen diesen Äon allzu gut! Tews mag sehr
„recht" haben — aber in dieser Schrist mußte dergleichen peinlichst vermieden
werden.

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