Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

DOI Heft:
Heft 18 (2. Juniheft 1917)
DOI Artikel:
Oestreich, Paul: Verbraucherkraft gegen Verbrauchernot
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0322

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Richtung sozialer Lasten- und EinkommensverLeilung (nach der Art der
Familienverpflichtung und der Leichtigkeit und Qualitat des Erwerbs)
und auch — soweit möglich — auf die Preisfestsetzung im Sinne
eines durch Produktion, Konsumtion und Wissenschaft aufzufindenden oder
anzustrebenden „gerechten Preises".

Die in der Kriegszeit ganz verspätet, zaghaft, unvollstandig und in«
konsequent eingreifende Preisfestsetzung hat einmal den Kriegsfinanzbedarf
unnötig erhöht, auch den Prozeß der Geldentwertung beschleunigt, schließ«
lich durch die „Nivellierung^ auf die für die Kriegslieferungen bezahlten
Rekordpreise das aufreizende Bild ergeben, daß viele Verarbeitungs-,
Rohstoff- und Kraftbetriebe bei ganz zusammengeschrumpfter Produktion
nach verschleiernden Abschreibungen, Reservefondsfüllungen und -bildungen,
Kapitalsstreckungen und Gewinnsteuerzurücklagen doch noch verblüffend hohe
Dividenden ausschütten können, da sie durch ihre Macht als Monopolisten
und als Lieferanten für den Kriegsnotbedarf die Preise so weit erhöhen
können, daß jede „Gewinnsteuer^ wieder abgewälzt ist: die Blüte des fressen-
den Schmarotzers am darbenden Baum.

Auch die Fragen der Wahlrechtsmethodik, der Behördenorganisation, der
Bildungsmöglichkeiten gehen die Verbrauchervertretungen an. Gerade die
Verbraucher werden z. B. in Fragen der Eingemeindung häufig über
die Geschaftlhuberei der Lokalspitzen hinaus- die sie gar nicht interessieren,
Rotwendigkeiten erzwingen. Verkehrs- und Gesundheitsfragen hängen mit
ihren Zielen eng zusammen. Stadtliche und staatliche Organisation der
Verkehrsmittel, billige Tarife sind ebenso wie tzygiene im Stadtbilde und
Einzelhause Vorbedingungen der Volkswohlfahrt, und ein Einfluß auf
Arzte« und ApoLhekertaxen wird unbedingt zu fordern sein, damit nicht
die sozial-kulturelle Seite des Medizinalwesens durch die Rnternehmer-
auffassung mancher Arzte und Arzneimittelfabrikanten verdunkelt wird.
Daß eine Verbrauchervertretung mit allem Nachdruck auf die Verstaat-
lichung monopolreifer Gebiete des öffentlichen Lebens drängen wird, ist
selbstverständlich, denn von der Gesamtheit durch Arbeit und Amstände
erschaffene Werte gehören auch der Gesamtheit. Materielles, organisa-
sorisches, ästhetisches InLeresse gebieten z. B. das Eintreten für die Ent-
eignung der Wasserkräfte, um sie der persönlichen tzabgier, der zerfahrenen
Ausnützung und der Verschandelung zu entziehen.

Genug an Linzelheiten! Line Verbrauchervertretung fände ein riesiges
Betätigungsfeld, wenn sie die Zustände untersuchen, die Behörden be-
raten, den Äbertretungen nachspüren, das Publikum erziehen, die öffent-
lichen Einrichtungen durch tzilfe und Äberwachung fördern, neue notwen-
dige Einrichtungen anregen und veranlassen würde. Wir müssen nach
diesem Kriege im Verbrauch von Rohstoff und Menschenkraft sorgsam
sparen. Darum müssen wir alle vorhandenen Kräfte beleben, durchbilden
und in den Dienst stellen. Wir müssen Angebot und Nachfrage regeln,
müssen eine Organisation des materiellen, wirtschaftlichen Lebens schaffen,
damit sich darauf ein Tempel reiner und edler Kultur erheben könne.
Zusammenfassung, Vorbereitung und Disposition sind nötig, damit nicht bei
neuen Erschütterungen die gleiche hilflose Direktionslosigkeit manchen wich-
tigen SLellen anhaftet, die dieser Krieg gezeigt hat. Die Nation darf
nicht zerklaffen in Ausbeuter und Ausgebeutete, in Land und Stadt, in
armselig Vegetierende und genießende Reiche. Sie soll selber zu einer
Gesamtpersönlichkeit werden. Das geht aber nur, wenn in ihr kein Teil

263
 
Annotationen