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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 18 (2. Juniheft 1917)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0327

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erschienen, sie gehören zu der Samm-
lung „Der neue Roman^, und ein
Teil davon erschien gesondert in dem
Almanach „Der jüngste Tag". Also:
NeueRichtung. Indessen, derSchluß
aus Buch- und Erscheinungäuße-
rem, literarischer Rachbarschaft und
Probeabdruck leitet diesmal fehl.
Der Verfasser der „Rovellen", Ar-
nold Zweig, persönlich aller--
Pings ein „neuer Mann", hat als
Dichter kaum irgend etwas mit einer
neuen Richtung so oder so gemein.
Der Abdruck eines gewagten eroti-
schen Teils seines Buches in jenem
Almanach mag das Buch geschäftlich
gefördert haben, sachlich hat er ge-
wiß viele falsch eingestellt. Denn
Zwerg geht in diesem Buch grund-
sätzlich gar nicht aus auf Sensatio-
nen, sondern erweist sich als ein
glühender Liebhaber spürender, grüb-
lerischer Psychologie, die ja von den
Wortführern der „neuen Richtung^
von vornherein mit Acht und Bann
belegt ist. Literarisch gehört er in
die Nachbarschaft der Schnitzler,
Mann, Rabl und andrer psychologi-
scher Gestalter von Rang. Sein Ro-
man — denn nichts andres sind diese
sieben Rovellen, die eine Folge von
bedeutsamen Ereignissen aus dem
Leben Claudia Eggelings und Wal-
ther Rohmes bilden — wäre vor
sechs bis acht Iahren ein großes Er-
eignis gewesen, heute mußte er im
Lärm des literarischen Lebens etwas
zurücktreten. Die junge Claudia ist
reich und klug, sehr klug, nicht nur
von Natur, sondern auch durch wis-
senschaftliche Bildung. Der Privat-
dozent Rohme gewinnt ihre tzand in
der ersten Rovelle, und damit ist
ein „Spiel" eröffnet, das an inneren
Wendungen reicher ist als die Ge-
schichten von Verlobungen und ersten
Ehewochen sonst sind. Die beiden
streben, nach der ersten äußeren Bin-
dung, innerlich einander kennen zu
lernen, zu gewinnen, zu fesseln. Das
Mädchen windet sich allmählich her«

aus aus einer gewissen Scheinober-
flächlichkeit und Scheinüberlegenheit
über den ungeschickten Verlobten, der
Mann ringt sich hin zu einer Offen-
heit über sich selbst, die ihm als einer
schwächlichen, zur Führung in der
Gemeinschaft untüchtigen Natur
dreifach schwer fällt. Aus diesem in--
neren, über Monate verteilten Vor--
gang hebt Zweig nur einige ein--
zelne Auftritte Heraus, die, zeitlich
genommen, ein paar Stunden oder
Minuten währen; diese aber ge--
staltet er mit eindringlichster Dar--
stellung, mit einem Streben nach
psychologischer Vertiefung aus, das
ihn zwingt, räumlich genommen,
ganze Rovellen daraus zu machen.
Bis in die letzten und tiefsten Re-^
gungen der tzauptbeteiligten blicken
wir, und die flüchtigsten Gebärden,
Gefühle und Willensregungen wer--
den uns mitgeteilt. Rnd doch wirkt
das Buch nicht wie eine psycholo-
gische „Studie^, sondern durchaus
dichterisch, voll, erlebt, wesenhaft.
Letzten Endes sind die Gestalten nicht
nur zergliedert, sondern auch wieder
zusammengeschaut, und eine recht ge-
schickte Erfindung, eine biegsame,
reiche Sprache tun das Äbrige. Diese
ganz individuellen, ganz „modern"-
verwickelten Erlebnisse voll tausend
tzemmungen und Widersprüchen fes-
seln doch bis zuletzt, und nicht nur
weil am Ende der volle, unüber-
triebene Ton endlichen Zusammen-
klingens zweier sehr verschiedener
Naturen die lange entbehrte tzar-
monie, die tzoffnung auf eine ruhi-
gere Zukunft und ein leichteres Glück
der beiden herstellt. Daß Zweig als
Psychologe wie als Darsteller eine
vollkommen reife Äberlegenheit noch
nicht bewährt, daß kleine tzärten,
Verzerrungen und Äbertreibungen,
auch manchmal Fehlgriffe in der
Proportionierung sich noch bei ihm
einschleichen, soll nicht verschwiegen
werden. Im ganzen sind die „No-
vellen um Claudia" doch eine lebens«

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