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Beck, Paul [Editor]; Hofele, Engelbert [Editor]; Diözese Rottenburg [Editor]
Diözesan-Archiv von Schwaben: Organ für Geschichte, Altertumskunde, Kunst und Kultur der Diözese Rottenburg und der angrenzenden Gebiete — 2.1885

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https://doi.org/10.11588/diglit.20206#0060

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gegen 100 000 Opfer berechnete. Innerhalb 5 Jahren endeten allein in
Ravensburg 48 Weiber als vermeintliche Hexen ans dem Scheiterhaufen.
In Sanlgan wurden besonders von 1650—80 viele Hexen hingerichtet,
in anderen Städten mehr. „Bis ins 15. Jahrhundert kamen in
Deutschland da und dort Prozesse wegen Zauberei vor und wurden
solche verurteilt (meist auch wegen wirklicher Verbrechen). Aber vom
Ende des 15. Jahrhunderts an scheint Deutschland von einer wahren
Hexenepidemie ergriffen worden zu sein; die Hexenprozesse kamen
an die Tagesordnung. Tausende von Unglücklicheil wurden von da an
bis in den Anfang des 18. Jahrhunderts verbrannt,, und alle ans ihr
Geständnis." (v. Wächter.) Daher entstand auch die Ähnlichkeit der
Prozeß-Akten, welche meist nur ans dem Protokolle nach dem Ver-
höre resp. Folterung über die Geständnisse und ans dem Urteilssprnche
bestanden. Das Geständnis ist fast stets dasselbe, übereinstimmend mit
dem ganzen Wahn der Zeit, der mit jedem Prozeß einen festeren
Charakter annahm. Dazu wirkte vor allem die Folter (Danmenstock,
Beinschraube oder spanische Stiefel re.). Nur ausnahmsweise
überstand diese schauerliche Tortur zweimal ein Weib, Bar-
bara Bingeßerin von Alleshansen im sog. .Hexengäu, Gegend
am Federsee, welche mit 5 anderen angeblichen Hexen von da vor dem
Oberamte in Marchthal verbrannt wurde. Daher klagt der die Kirche
als unschuldig an diesem Wahn rechtfertigende Jesuiten--Pater
Spee so sehr: „Die grausame Anwendung der Folter stürzt viele Un-
schuldige ins Verderben, die wegen der unausstehlichen Schmerzen nicht
nur sich selbst schuldig bekennen, sondern durch die Tortur auch viele
andere Unschuldige anzngeben gezwungen sind. Es ist dieshalb auch
nicht zu verwundern, daß bei uns alles voll Hexen ist." Das
Malefizgericht wie z. B. das zu Hoßkirch bis znm Jahre 1688
bildete der Amtmann, der StabHalter, die Richter und Ge-
richts sch offen, oft die einfachsten Bauersleute, welche zwar mit
vollem Ernste, aber ganz unter dem Bann des Hexenwahns ihrer
Zeit urteilten. Unter Urgicht verstand man das Verzeichnis der
Verbrechen resp. der Geständnisse der Hexen, das dem Volke vor der
Hinrichtung zum abschreckenden Beispiele verlesen wurde. — Endlich kam
der Arzt, der den Zeitgeist von diesem schauerlichen und blutdürstigen
Jrrwahne heilen sollte, es war Friedrich von Spee, geboren 1591
zu Kaiserswerth bei Düsseldorf. Derselbe trat 1610 in die Gesellschaft
Jesu und wurde 1627 mit den Schrecken der .Hexenprozesse bekannt,
indem er als Beichtvater über 200 in den Gefängnissen besuchte und
zur Hinrichtung geleitete, so daß ihm die Haare vor der Zeit grau
wurden. Vier Jahre vor seinem Tode (ff 1635) erschien anonym sein
hvchberühmtes Werk: Cuutio crimiukiliZ seu <Ie processiduZ corNrg,
oder „Hochpeinliche Vorsichtsmaßregeln oder Warnungsschrift über die
Hexeuprozesse, gerichtet an alle Behörden Deutschlands, an die Fürsten,
Richter und das ganze Volk" in deutscher Übersetzung 1648 von Joh.
Schund zu Frankfurt a. M. Das Buch machte ungeheures Aufsehen
und in wenigen Monaten war die erste Auflage vergriffen. Spee teilte
seine Luutio criminulis in 51 Artikel (clubig.) oder Fragen (guLestioiisch
und einen Anhang „über die Tortur". Heben wir davon wenigstens
die Kardinalst unkte aus: Es giebt Zauberer und Hexen, aber nicht
alle, die man dafür hält, sind auch wirklich solche. Daß man in Deutsch-
land mehr Scheiterhaufen als anderswo rauchen sieht, kommt vom Un-
verstand und Aberglauben, der Mißgunst und Bosheit des gemeinen
Mannes. Die Zauberei ist ein abscheuliches und schreckliches Verbrechen,
ein criinen exeeptum, das darum auch ein gesetzliches Ansnahmsverfah-
ren erfordet. Gleichwohl darf nicht wider alle Ordnung und Vernunft
und mit ungerechtfertigter Willkür verfahren werden. Bei Anklage und
Untersuchung muß mit größter Vorsicht zu Werke gegangen werden, da
durch Bosheit, Argwohn, Habsucht ans bloße Denunziation hin viele
Unschuldige in Gefahr kommen. Die Folter muß entweder ganz abge-
schafft oder ohne Gefahr für die Unschuldigen angewendet werden; denn
unter 50 Hingerichteten oder verbrannten armen Sündern sind nach mei-
ner innersten Überzeugung kaum fünf Schuldige zu finden. „Wehe,"
ruft Spee aus, „wehe den Fürsten, welche die unmenschlichen Greuel
in ihren Schutz nehmen; wehe den Richtern, deren Kastengeist ans den
Hexcuprozcsseü ein Privilegium und eine Erwerbsquelle gemacht!" In
seiner Eigenschaft als Beichtvater schreibt er (club. zo Art. 19): „Ich
betheure es bei einem Eide, daß ich noch keine Einzige zum Feuer be-
gleiten helfen, von der ich sagen könnte, daß sie des Lasters in
Wahrheit schuldig gewese n." Spee's kühne Schrift zündete zwar
ungemein und nach und nach hörte wie in Würzburg auf Befehl des
Kurfürsten von Mainz, Philipp von Schönborn, die Hexenspürerei auf.
Allem der Prozeßgang wurde noch nicht nach Spee's Grundsätzen ein-
gerichtet und der protestantische Leipziger Professor Carp-
zov(ß 1666), die erste juristische Auktvrität dieses Jahrhunderts,
schwamm ganz mit dem Strome. So wurde von der Mitte des 17.
Jahrhunderts an erst recht darauf losgefoltert. Doch kam endlich die

Zeit, wo der längst vergessene Jcsuitenpater wieder von Feind
Freund ans den Leuchter gestellt wurde als Netter des Vaterlandes,^
zuerst den unwiderstehlichen Bann des grauenvoll
Hexenwahns löste. — . c.
Im dritten Abschnitt „Das Hexen wesen" erfahren wir,
spez. in Oberschwaben die Hexenbrände volle 250 Jahre fortdam'U^
In Saulgau hatte die Verfolgung der Hexen im Jahre 1731
nicht anfgehört (daher „Hexenstädtlein"). Dann läßt der Vers, über ^
geschichtlichen Ursprung des Hexeuwesens die ersten Aalst'
täten ans den verschiedenen einschlägigen wissenschaftlichen Gebieten ff'
chen. Mone führt dasselbe ans Hekate und die alten Bachab ^
lien zurück. Jak. Grimm findet seinen Ursprung in dem altgs^.
manischen Götterglanben, welcher, als im 16. Jahrhundert ^
christliche Geist schwand, in verzerrter dämonischer Gestalt
der anslebte (nach vr. Oswald). Nach vr. Simar ist das
wesen eine Abart der Zauberei; Zauberei und Wahrsagerei
sind die beiden Hanptformen des Aberglaubens. „Der Aberglaube ist
nämlichen Quelle entsprungen wie der heidnische PoiythelslNM.
Er ist eine Frucht der Sünde." Der strenggläubige protestansttz^
Theologe vr. Vilmar (ß 1868) geht von dem Satze aus: „Es
einen Teufel, so sehr auch der Nationalismus dessen Existenz. ^
streitet." Er findet den Ursprung des Hexeuwesens in dem Ablst^,
vom Christentum und bedauert, daß die heutigen Pastoren in dwll,
für die Seelsorge vor fast allen Lchrpunkteu der Satanologie wichstü ,
Lehrsätze von den teuflischen Versuchungen ganz uunnternnU .
blank wie die Heiden von der Universität in das Amt gehen. ^
oberflächlichste Erklärungsversuch ist die rationalistische 4^
tnng, wornach das ganze Hexeuwesen nichts als Lug und 44 -
leerer Wahn und schlauer Betrug. Wendet man im Gegensätze zpr > ^
„schwarzen Magie", dem Malefizium durch Verbindung mit )4
Teufel, die sog. „weiße Magie" an als die urs iniru lllciencli
Lpp xcre Mer per eg. u 8 g. 8 uri.turg.Ie8 g.1>8que ullo clri.sin.oni3 minist
(nach Gnry), wie der berühmte selige Albertus der Großr st^
Laningcn, Äbt Johannes Trithemins von Spanheim
der berühmte Verfasser des Ollrouieou Illirsgu^ieuse und dessen Sw? ,,
Paracelsus Theophrastus Bombastus von HohenstÜ^ >
(1493—1541) sich mit der Erforschung der „magischen Kraft" in ^
Natur und im Menschengeistc beschäftigten, so wäre das Hexeww>
rein natürlich zu erklären. Ebenso als rein natürlich kra> ^
Haft (Nervenleiden im Bund mit tiefgcwnrzeltem Aberglauben) erstst.,,
es vom psychologischen und mediziilisch-pathologisw^,i
Standpunkte dessen neueren und neuesten Repräsentanten (wievr. Bsts
Ehingen). Der berühmteste Jurist der Gegenwart v. a
ter urteilt also: „Wir würden in unserer Zeit noch ebensoviele
finden und verbrennen können, wenn man dasselbe Mittel, sie z>stl
den, bei uns anwenden wollte. Es war die unsinnigste Au-ü^
bnrt menschlicher Verirrung die F 0 lter." Von diesem höchst lra ^
haften richterlichen Verfahren sagt Görrcs: „Der Hexen epide>a
entgegen hatte sich eine andere in der gerichtlichen Praxis ruw,
schlichen, die alle Urteile infiziert; und man weiß,.nicht, '
von beiden Seuchen das land verderblich sie Übel geaast,
ist." — Was sodann die so viel mißhandelte Hexenbulle Jstst.hc
zenz' VIII. -Lummis clesiclergutes« v. 5. Dez. 1484 betrifft, so ist die?
vor allein keine dogmatische Bulle, sondern sie wollte nur das B ^
fahren gegen die Häretiker regeln. Während Luther ganzstst,
ter dem Banne des Hexenwahns stand, sagt Bergier bestimmt:
kennt nicht Einen Fall einer Hexenverbrennnng in Npst'^
Damit ist den schweren Anklagen in dem bedeutendsten Werke
dans Geschichte der Hexenprozesse", neu bearbeitet von
Heppe 1880, schon die Spitze gebrochen. Gründlich widerlegt diestst^
aber die positive christliche Wahrheit. Vor allem ist es kirchliw^
in der hl. Schrift begründetes Dogma, daß cs bösestem
auf nichts als Böses sinnende Geister in großer ost
giebt. Die Macht dieser bösen Geister wird jedoch von Gottes ZnlastN '
regiert. Der Satan hat nicht die Macht, wirkliche Wunder zu N'N ^
sondern nur durch natürliche Mittel, Lug und Trug und Blendnst -
Die Möglichkeit und Wirklichkeit der Hexerei in der Machtsphäre
Satans kann nicht geleugnet werden. Denn als biblische Thatsach^ü
fest, daß Christus selbst und seine Apostel Teufel ausgetrieben
Daher ist das Exorzistat wie die katholische Kirche selbst apostol.u^
und Papst Paul V. gebührt im Gegenteil das Verdienst, durch rad> ,
Reform des Rituals resp. Benediktionals das Brntnest des -Er-
wähne s (Zauber) zerstört zu haben (nach vr. Bischofberger).
apostolische Stuhl hat viele heilig und selig gesprochen,
nicht Einen oder Eine als Hexe gebrandmarkt. — Neues
gelbild des Hexenwahns ist der Spiritismus (in Amerika w
ca. 10 Millionen). ^

Stuttgart, Buchdruüerei der Aktiengesellschaft „Deutsches Volksblatt".
 
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