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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 2.1927

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Riezler, Walter: Die Frage nach der Gültigkeit der Ostwaldschen Farbenlehre
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https://doi.org/10.11588/diglit.13210#0089

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neten Farben innerhalb des Farbenkreises,
die andere die Forderung gleichen Weiß-
oder Schwarzgehaltes. Es sind also zwei
Grundthesen von sehr großer Einfachheit,
die in der Tat, wenn sie richtig wären, bald
jede Unsicherheit in der Anwendung der
Farben beseitigen müßten, da man sich ja
nur der in der betreffenden Weise von Ost-
wald in eine Ordnung gebrachten Farben zu
bedienen brauchte. Nun sind aber leider die
sämtlichen Harmonien, die Ostwald bisher
als Ergebnisse dieser seiner Lehre vorge-
zeigt hat, entweder abscheulich oder doch
von ausgesprochener Langweiligkeit: das
ganze wunderbare Leben, die Beseeltheit
der alten Farbenharmonie fehlt. Auf der
anderen Seite brauchen wir nur irgend-
welche alten Farbenharmonien von größter
Schönheit, an alten Glasgemälden, Bildern,
Keramiken oder Textilien herzunehmen und
zu analysieren, um sofort feststellen zu kön-
nen, daß weder die Anordnung der einzel-
nen Farben innerhalb des Farbenkreises,
noch der Schwarz-Weißgehalt sich in eine
der Ostwaldschen Gesetzmäßigkeiten ein-
fügen läßt. Also müssen wir die Lehre so-
lange für falsch halten, als es nicht Ost-
wald gelingt, Harmonien zu schaffen, die
schöner als die alten sind.
Dies wird ihm nie gelingen, weil seine Lehre
in den wesentlichsten Punkten falsch ist. Sie
nimmt die verschiedenen Farben als für
sich feststehende und gleichbleibende,
gleichwertige Größen, während sie in Wirk-
lichkeit in dem Augenblick, da man sie
nicht als physikalische Gegebenheiten, son-
dern als künstlerisch lebendige Wesen sieht,
und damit allein haben wir es zu tun, in>
dynamische Beziehungen zueinander tre-
ten, sich gegenseitig verändern, steigern
oder unterdrücken, daß demgegenüber die
zahlenmäßig exakt festlcgbaren Propor-
tionen nichts zu bedeuten haben.*) Von die-
ser dynamisch lebendigen Wirkung der
Farben aufeinander kann man sich sogar
an der Hand irgendeiner der Tafeln des
Ostwaldschen „Farbkörpers", der doch nur
ganz schematisch angeordnete Farben ent-

hält, überzeugen. Vor mir liegt die Tafel 4
des Farbkörpers, die an den beiden Spitzen
des Rhombus die reinen Gegenfarben eis-
blau und ,,kreß", dazwischen die ganzen
Abstufungen bis zu weiß und schwarz auf im
ganzen 64 Feldern enthält. Von der Seite
des warmen „kreß" (orange) strahlt es so
stark nach der anderen Seite über, daß eine
Fülle von ins Rötliche spielenden Zwischen-
tönen entstehen, die für sich gar nicht fest-
legbar sind, so daß die in der Mitte liegen-
den Felder mit starkem Graugehalt unauf-
hörlich die Farbe zu wechseln scheinen.
Diese Wirkung ist aber durchaus einseitig,
wovon man sich sofort überzeugen kann,
wenn man die eine Hälfte verdeckt. Die
Überstrahlung geschieht nur von der war-
men auf die kalte Seite, nicht auch umge-
kehrt. Hier wird auch der Gegensatz zur
musikalischen Harmonie besonders deut-
lich. Musikalische Harmonien sind in sich
unveränderlich, eben weil sie auf den Ver-
hältnissen der Schwingungszahlen begrün-
det sind, und auch kein einzelner Ton ver-
ändert sich in seiner Höhe je nachdem er
in einer verschiedenen Umgebung steht.

Nun wäre es freilich gut, wenn es gelänge,
an die Stelle dieser falschen Harmonielehre
Ostwalds eine richtige zu setzen. Leider ist
dies nicht möglich, wenigstens nicht in dem
exakten Sinne der musikalischen Harmonie-
lehre. Es gibt keine Rezepte für Farbenzu-
sammenstellungen, die man dem Schüler in
die Hand geben kann. Man kann nichts
anderes tun als versuchen, sein Auge für
die lebendigen Harmonien der Farbe zu
schärfen, wobei selbstverständlich die Be-
trachtung und das genaue Studium alter
Farbenharmonien ein ausgezeichnetes Mittel
ist. Will man die Lehre auch noch theore-
tisch stützen, kann man es höchstens mit
Hilfe der Hölzclschen Theorie tun, dessen
Verdienst es immer bleiben wird, die leben-
dige Wirkung der Farben aufeinander als
erster in den Mittelpunkt der Lehre gestellt
zu haben. Daß dabei die Goethesche Far-
benlehre immer noch nachwirkt, mag für

*) Die dynamische Natur der Farbe müssen wir mit aller Entschiedenheit der „Natürlichen Farbenordnung"
Max Becke's gegenüber, über die Heinrich Trillich in den „Technischen Mitteilungen für Malerei", Nr. 2 des
/I3. Jahrganges berichtet, betonen. Mit der stofflichen Natur der Farbe, die selbstverständlich unveränderlich ist,
haben wir es hier nicht zu tun, sondern rein mit der Farbe als Augenempiindung, und diese ist in viel höherem
Grade noch als die Töne von dynamischen Verhältnissen abhängig.

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