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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 2.1927

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Lotz, Wilhelm: Handwerk, Werkbund und Kultur: das Für und Wider der Zusammenarbeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.13210#0354

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Dr. Meusch wird in einem der nächsten Hefte seine Stellungnahme zu den Ausführungen Dr. Riezlers uns zur Diskussion
darlegen. Wir glauben, daß es trotzdem jetzt schon möglich ist, auf Grund der Mannheimer Reden die geistigen
Orientierungspunkte für die Zusammenarbeit festzulegen. Das ist in der folgenden Ausführung versucht worden.

Die Schriftleitung

HANDWERK, WERKBUND UND KULTUR

Das Für und Wider der Zusammenarbeit

Das „Wider".

Der Sprecher des Handwerks, Dr. Meusch, hat in
Mannheim vor dem Werkbund dargelegt, welche
Holle das handwerkerliche Schallen heute noch
im Rahmen der deutschen Erzeugung einnimmt
und hat gezeigt, daß sich das Handwerk in stetem
Aufschwung befindet. Der Sprecher des Werk-
bunds, Dr. Riezler, leitete aus dieser Rolle des
Handwerks für den Werkbund die Verpflichtung
ab, sich künftig gründlich mit den Fragen des
Handwerks zu beschäftigen. Eine wirtschaftsge-
schichtliche Tatsache, die Existenz und das wirt-
schaftliche Gedeihen des heutigen Handwerks
zwingen den Werkbund zur Beachtung, Förderung
und Zusammenarbeit. Diese Folgerung hat fast
jeder einzelne aus der Versammlung gutgeheißen
und ihr beigestimmt.

Der Werkbund bat vor zwanzig Jahren in Er-
kenntnis der Bedeutung der Industrie die indu-
strielle Produktionsweise bejaht und der Industrie
bis heute immer wieder vorgestellt, daß sie die
kulturelle "Verpflichtung hat, Qualitätserzeugnisse
zu liefern und der Form der Erzeugnisse beson-
dere Beachtung zu schenken.

Befindet sich der Werkbund dem Handwerk
gegenüber heute in der gleichen Lage?
Vor zwanzig Jahren griff er die Aufgabe der Bes-
serung der industriellen Erzeugnisse auf mit all
dem geistigen Rüstzeug der Neuerer der Bewe-
gung, von Morris über Semper zu Van de Velde,
Riemerschmid und Muthesius. Er sah als Erstes
die geistige Aufgabe, die Einfügung der neuen
Produktionsweise an die richtige Stelle in der
Formgestaltung. Weniger das Mittel der Produk-
tion als die schlechte und charakterlose Hand-
habung des Mittels war der Anstoß zur Tat. Zu-
gleich sah man in der Maschine ein Werkzeug
und einen Ausdruck der kommenden Zeit und
man fühlte sich als Schrittmacher einer anbrechen-
den Kultur, wenn man die Handhabung des Mit-
tels in die richtigen Bahnen lenkte. Noch heule
befindet sich der Werkbund der Industrie gegen-
über in der gleichen Rolle des verantwortlichen
Hüters des kulturellen Zeilgewissens.

Diese Stellung zur Industrie ist eine ganz andere
als die, die er dem Handwerk gegenüber ein-
nehmen muß. Nicht, weil die Erzeugnisse des
Handwerks etwa besser wären als die der Indu-
strie und weil hier keine Reformarbeit zu leisten
wäre, sondern weil selbst die modernste Form des
Handwerksbetriebs nicht etwas gänzlich Neues
darstellt, von dessen Entwicklung, Struktur und
Wesen das Formschaffen unserer Zeit wesentlich
beeinflußt würde. Im wirtschaftlichen wie im
Werkbund-Sinn ist der neuzeitliche Handwerks-
betrieb eine Zwischenform zwischen industriellem
Kleinbetrieb und Handwerk im alten Sinn. Auch
seine Erzeugnisse stellen in ihrem Charakter und
in ihrer Form eine Zwischenstufe zwischen Indu-
strieprodukt und reinem Handwerkserzeugnis dar.
Der Werkbund hat immer das Schwergewicht
mehr auf solche Erscheinungen gelegt, die in sich
den Fortschritt tragen, die Neues und Kommendes
künden, er ist, wie Gropius es ausdrückt, eine
Kampf Organisation. Er hat dem Handwerk in sei-
ner Breite wenig Beachtung geschenkt und hat, —
besonders in seiner ersten Zeit, — seine Aufmerk-
samkeit deshalb auf das Kunsthandwerk gerichtet,
weil dort neue Ideen neue Formen gesucht
haben. Sein Interesse galt dort nur der künstleri-
schen Seite und der handwerklichen nur soweit,
als in ihr Momente lagen, die eng mit dem Künst-
lerischen zusammenhängen. Wir wollen uns des-
halb darüber klar sein, daß, wenn der Werkbund
sich nunmehr mit dem Handwerk beschäftigen
wird, er in der handwerkerlichen Frage als Gan-
zes nichts aufgreifen kann, was als fortschrittlich
oder geistig revolutionär anzusprechen ist. Er re-
spektiert lediglich eine zeitlich-wirtschaftliche
Tatsache. Es wird niemand behaupten können,
daß im heutigen Handwerk sich fortschrittliche
Momente gezeigt haben, die in sich die Initiative
zur Anteilnahme an der Gestaltung unserer Zeit
tragen. Wo das Handwerk Anteil genommen hat,
ist es von Künstlern geführt worden, oder es haben
sich einzelne Handwerker der zeillichen Ent-
wicklung gebeugt. Selten zum Vorteil. Es ist ja
manchmal geradezu rührend anzusehen, wenn man

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