KUNSTSCHULEN
Wenn in dem Deutschland der letzten
hundert Jahre die Volksschulen nicht ge-
wesen wären, es Avürde schlimm aussehen
mit Bildung und Fortschritt. Wenn aber
die Kunstschulen nicht gewesen wären,
stünde es dann heute schlechter um unsere
künstlerischen Leistungen? — oder viel-
leicht gar besser? Eine solche Frage würde
sich nicht aufdrängen, wenn die Kunst-
schulen ihre Methoden aus ihren eigenen
Voraussetzungen heraus gebildet hätten,
statt sie bei den erfolgreichen Schulen des
Wissens sich auszuleihen.
Man hatte erkannt, daß es abwärts ging,
man fühlte die Verpflichtung nachzu-
denken und zu helfen. Das Vertrauen zu
der Macht der Schulen war groß. Da wur-
den die Absichten und Hoffnungen viel zu
weit gespannt, alle sollten künstlerisch er-
zogen werden, denen künstlerische Fähig-
keiten für ihren Beruf oder für ihre Bil-
dung erwünscht oder Bedürfnis waren.
Man vergaß, daß man zum Künstler nicht
erziehen kann; daß man zwar Künstler er-
ziehen, aber daß man nicht zum Künstler
erziehen kann. Vieles ist lehrbar in der
Kunst, aber lehrbar nur Wenigen. Jedem
etwas anderes, dem einen viel, dem anderen
wenig, keinem etwas anderes, als was von
der Natur schon in ihm vorgebildet ist und
was er nachfühlen kann. Wie es geht und
wohl gehen muß, wurde viel zu einseitig
und ausschließlich von der Schule verlangt ,
sie solle erhalten oder zurückgewinnen, was
zuletzt, also in einer Zeil nachlassender
und entartender künstlerischer Kraft als das
wichtigste Streben galt, während die Auf-
gaben, die sich die besten Zeiten stellten,
und die Art, wie sie gemeistert wurden,
außer der Reichweite des Blickes lagen. In
der genauesten Kenntnis der Naturform
und in kunstgeschichtlichem Wissen, in die-
sem kleinen Teil glaubte man das Ganze zu
haben und zu pflegen. Das Ergebnis war,
was man „akademische Kunst" nennt.
Wir aber wollen lebendige Kunst, unser ei-
genes Leben, geformt und ausgedrückt von
denen, die dazu Kraft haben — große oder
kleine, aber lebendige Kraft. In den besten
unserer Schulen ist das begriffen worden
und die Folgerungen wurden daraus ge-
zogen. Und so beginnt da und dort ein
Aufblühen, das Freude und Hoffnungen
weckt. Möge nun dazu die Erkenntnis sich
immer fester einwurzeln und immer mehr
Boden gewinnen, daß jeder Versuch, Un-
begabten die künstlerischen Dinge auf an-
dere Weise nahezubringen als durch die Ge-
wohnheit und dadurch, daß man sie an das
Gute glauben läßt, eine Sisyphus-Arbeit
bleibt. Gläubig hinzunehmen, freudig ver-
wirklichen zu helfen, was andere, die mit
größerer Gestaltungskraft und feinerer
Empfindung begnadet sind, erdacht und er-
fühlt haben, das ist für sie der einzige Zu-
gang zur vollendeten Leistung. Der Ver-
such, zu erkennen und zu urteilen, obwohl
die Kraft dazu fehlt oder nicht ausreicht,
raubt nur die Sicherheit und bringt alles in
Gefahr, was Geschicklichkeit, Tüchtigkeit,
Handfertigkeit leisten kann, wenn sie un-
beirrt bleibt. Es war doch immer so: Die
^ ielen machen ihre Arbeit mit der festen
Überzeugung, daß das, was ihre Zeit gelten
läßt, was alle gelten lassen, auch das Rechte
und das Schöne ist. Sie machen nichts oder
kaum etwas Neues, sie machen, woran sie
zu glauben gelernt haben. Und alles, was
sie machen, ist dann in Zeilen hoher bild-
nerischer Kultur gut und sicher und be-
währt. Wenige sind's, die wollen nicht, was
alle gelten lassen, sie wollen ein Neues, vor-
her nie Gesehenes, in glückhaften Stunden
von ihnen Geschautes, sie müssen es wollen,
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Wenn in dem Deutschland der letzten
hundert Jahre die Volksschulen nicht ge-
wesen wären, es Avürde schlimm aussehen
mit Bildung und Fortschritt. Wenn aber
die Kunstschulen nicht gewesen wären,
stünde es dann heute schlechter um unsere
künstlerischen Leistungen? — oder viel-
leicht gar besser? Eine solche Frage würde
sich nicht aufdrängen, wenn die Kunst-
schulen ihre Methoden aus ihren eigenen
Voraussetzungen heraus gebildet hätten,
statt sie bei den erfolgreichen Schulen des
Wissens sich auszuleihen.
Man hatte erkannt, daß es abwärts ging,
man fühlte die Verpflichtung nachzu-
denken und zu helfen. Das Vertrauen zu
der Macht der Schulen war groß. Da wur-
den die Absichten und Hoffnungen viel zu
weit gespannt, alle sollten künstlerisch er-
zogen werden, denen künstlerische Fähig-
keiten für ihren Beruf oder für ihre Bil-
dung erwünscht oder Bedürfnis waren.
Man vergaß, daß man zum Künstler nicht
erziehen kann; daß man zwar Künstler er-
ziehen, aber daß man nicht zum Künstler
erziehen kann. Vieles ist lehrbar in der
Kunst, aber lehrbar nur Wenigen. Jedem
etwas anderes, dem einen viel, dem anderen
wenig, keinem etwas anderes, als was von
der Natur schon in ihm vorgebildet ist und
was er nachfühlen kann. Wie es geht und
wohl gehen muß, wurde viel zu einseitig
und ausschließlich von der Schule verlangt ,
sie solle erhalten oder zurückgewinnen, was
zuletzt, also in einer Zeil nachlassender
und entartender künstlerischer Kraft als das
wichtigste Streben galt, während die Auf-
gaben, die sich die besten Zeiten stellten,
und die Art, wie sie gemeistert wurden,
außer der Reichweite des Blickes lagen. In
der genauesten Kenntnis der Naturform
und in kunstgeschichtlichem Wissen, in die-
sem kleinen Teil glaubte man das Ganze zu
haben und zu pflegen. Das Ergebnis war,
was man „akademische Kunst" nennt.
Wir aber wollen lebendige Kunst, unser ei-
genes Leben, geformt und ausgedrückt von
denen, die dazu Kraft haben — große oder
kleine, aber lebendige Kraft. In den besten
unserer Schulen ist das begriffen worden
und die Folgerungen wurden daraus ge-
zogen. Und so beginnt da und dort ein
Aufblühen, das Freude und Hoffnungen
weckt. Möge nun dazu die Erkenntnis sich
immer fester einwurzeln und immer mehr
Boden gewinnen, daß jeder Versuch, Un-
begabten die künstlerischen Dinge auf an-
dere Weise nahezubringen als durch die Ge-
wohnheit und dadurch, daß man sie an das
Gute glauben läßt, eine Sisyphus-Arbeit
bleibt. Gläubig hinzunehmen, freudig ver-
wirklichen zu helfen, was andere, die mit
größerer Gestaltungskraft und feinerer
Empfindung begnadet sind, erdacht und er-
fühlt haben, das ist für sie der einzige Zu-
gang zur vollendeten Leistung. Der Ver-
such, zu erkennen und zu urteilen, obwohl
die Kraft dazu fehlt oder nicht ausreicht,
raubt nur die Sicherheit und bringt alles in
Gefahr, was Geschicklichkeit, Tüchtigkeit,
Handfertigkeit leisten kann, wenn sie un-
beirrt bleibt. Es war doch immer so: Die
^ ielen machen ihre Arbeit mit der festen
Überzeugung, daß das, was ihre Zeit gelten
läßt, was alle gelten lassen, auch das Rechte
und das Schöne ist. Sie machen nichts oder
kaum etwas Neues, sie machen, woran sie
zu glauben gelernt haben. Und alles, was
sie machen, ist dann in Zeilen hoher bild-
nerischer Kultur gut und sicher und be-
währt. Wenige sind's, die wollen nicht, was
alle gelten lassen, sie wollen ein Neues, vor-
her nie Gesehenes, in glückhaften Stunden
von ihnen Geschautes, sie müssen es wollen,
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