WOHNEN UND WOHNUNG
Das Wort von der „Wohnmaschine", das
Corbusier zuerst geprägt hat, ist gefähr-
lich, weil man dabei lediglich an eine tech-
nische Funktion denkt. Die modernen tech-
nischen Funktionen aber sind für das Woh-
nen des neuzeitlichen Menschen wohl not-
wendig, aber sie sind nur Hilfsmittel und
werden mit der Zeit ebenso selbstverständ-
lich werden, wie es schon lange rein mecha-
nische Funktionen sind. Die Elektrizität als
Kraftquelle für hauswirtschaftliche Appa-
rate wird in einigen Jahren ebenso zum
selbstverständlichen Vorstellungsschatz ge-
hören, wie heute die Funktion des Türgrif-
fes oder des Schlüssels. Heute noch über-
rascht uns, was morgen selbstverständ-
lich ist.
Das Wohnen erschöpft sich nicht in diesen
Dingen, es ist mehr. Sie sind nur Handhabe
und Hilfsmittel.
Ebenso wenig wie man heute den formalen
Selbstwert der Wohnung anerkennt, sollte
man von einem technisch-funktionellen
Selbstwert reden. Wohnen ist nicht Ergeb-
nis, sondern Vorgang.
Der geistige Begriff Wohnen fordert Ge-
staltung in der Wohnung, daher ist die
Form der Wohnung vor allem Ausdruck
eines geistigen Bedürfnisses. Auch die tech-
nischen Vorgänge — wie Heizung und Lüf-
tung — sind Vorgänge, die Gestaltung ver-
langen, aber sie sind gefordert vom geisti-
gen Begriff und sind ihm Untertan. Das
Technische und Organisatorische dient der
höheren geistigen Funktion.
— Das Leben schafft die Wohnung, nicht
aber die Wohnung das Leben. — Niemand
wird das bezweifeln. Es gibt Leute, die des-
halb die Weißenhof-Siedlung verurteilen,
weil sie behaupten, daß es heute nicht die
Form des Wohnens gibt, die diese Woh-
nung verlangt, daß dort die Architekten
nicht das Leben belauscht und seine Forde-
rungen erfüllt haben. Wäre das Wohnen
nur ein physischer Vorgang, dann hätten
jene Gegner recht. Aber jede geistige Bevo-
lution fordert erst Formen, fordert erst
Boden und Baum für das geistige Leben,
das kommen wird. Weil solche Reformer
stets weiter hineinsehen in die Zeit, in ihren
Weg und ihre Struktur, greifen sie Strö-
mungen auf, die fein und verborgen sind
und, wenn sie hervorgezogen werden, der
Masse fremd sind.
Andere Gegner entdecken hauswirtschaft-
liche Mängel und verwerfen die Siedlung
deshalb, weil Verstöße gegen die Grund-
sätze der Hauswirtschaft vorhanden sind.
So wichtig es ist, daß den rein handwerk-
lichen Nebenfunklionen des Wohnens, dem
Bewirtschaften, Beinigen und Kochen die
praktischste und einfachste Basis gegeben
wird, so ist es doch wichtiger, daß in Stutt-
gart eine ganz neue Auffassung vom Leben
im Raum die Wohnungsformen geschaf-
fen hat.
Geistige Begriffe unterliegen mit der Zeit
Wandlungen, die durch eine andere geistige
Struktur der Zeit und durch ein anderes
Empfinden hervorgerufen werden. Neue
technische Möglichkeilen unterstützen diese
Wandlung des Empfindens.
Auch der Höhlenbewohner hat gewohnt. Er
schützte sich, indem er sich verkroch. Auch
späterhin, nachdem der Mensch den Baum
für sein Gefühl erobert hat, bleibt dieser
Baum ein strenges, aus der Umwelt heraus-
geschnittenes, in sich behütetes Gebilde.
Heute wird der Baum immer mehr Teil der
Umwelt, und wir- gestalten die Verbindung
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Das Wort von der „Wohnmaschine", das
Corbusier zuerst geprägt hat, ist gefähr-
lich, weil man dabei lediglich an eine tech-
nische Funktion denkt. Die modernen tech-
nischen Funktionen aber sind für das Woh-
nen des neuzeitlichen Menschen wohl not-
wendig, aber sie sind nur Hilfsmittel und
werden mit der Zeit ebenso selbstverständ-
lich werden, wie es schon lange rein mecha-
nische Funktionen sind. Die Elektrizität als
Kraftquelle für hauswirtschaftliche Appa-
rate wird in einigen Jahren ebenso zum
selbstverständlichen Vorstellungsschatz ge-
hören, wie heute die Funktion des Türgrif-
fes oder des Schlüssels. Heute noch über-
rascht uns, was morgen selbstverständ-
lich ist.
Das Wohnen erschöpft sich nicht in diesen
Dingen, es ist mehr. Sie sind nur Handhabe
und Hilfsmittel.
Ebenso wenig wie man heute den formalen
Selbstwert der Wohnung anerkennt, sollte
man von einem technisch-funktionellen
Selbstwert reden. Wohnen ist nicht Ergeb-
nis, sondern Vorgang.
Der geistige Begriff Wohnen fordert Ge-
staltung in der Wohnung, daher ist die
Form der Wohnung vor allem Ausdruck
eines geistigen Bedürfnisses. Auch die tech-
nischen Vorgänge — wie Heizung und Lüf-
tung — sind Vorgänge, die Gestaltung ver-
langen, aber sie sind gefordert vom geisti-
gen Begriff und sind ihm Untertan. Das
Technische und Organisatorische dient der
höheren geistigen Funktion.
— Das Leben schafft die Wohnung, nicht
aber die Wohnung das Leben. — Niemand
wird das bezweifeln. Es gibt Leute, die des-
halb die Weißenhof-Siedlung verurteilen,
weil sie behaupten, daß es heute nicht die
Form des Wohnens gibt, die diese Woh-
nung verlangt, daß dort die Architekten
nicht das Leben belauscht und seine Forde-
rungen erfüllt haben. Wäre das Wohnen
nur ein physischer Vorgang, dann hätten
jene Gegner recht. Aber jede geistige Bevo-
lution fordert erst Formen, fordert erst
Boden und Baum für das geistige Leben,
das kommen wird. Weil solche Reformer
stets weiter hineinsehen in die Zeit, in ihren
Weg und ihre Struktur, greifen sie Strö-
mungen auf, die fein und verborgen sind
und, wenn sie hervorgezogen werden, der
Masse fremd sind.
Andere Gegner entdecken hauswirtschaft-
liche Mängel und verwerfen die Siedlung
deshalb, weil Verstöße gegen die Grund-
sätze der Hauswirtschaft vorhanden sind.
So wichtig es ist, daß den rein handwerk-
lichen Nebenfunklionen des Wohnens, dem
Bewirtschaften, Beinigen und Kochen die
praktischste und einfachste Basis gegeben
wird, so ist es doch wichtiger, daß in Stutt-
gart eine ganz neue Auffassung vom Leben
im Raum die Wohnungsformen geschaf-
fen hat.
Geistige Begriffe unterliegen mit der Zeit
Wandlungen, die durch eine andere geistige
Struktur der Zeit und durch ein anderes
Empfinden hervorgerufen werden. Neue
technische Möglichkeilen unterstützen diese
Wandlung des Empfindens.
Auch der Höhlenbewohner hat gewohnt. Er
schützte sich, indem er sich verkroch. Auch
späterhin, nachdem der Mensch den Baum
für sein Gefühl erobert hat, bleibt dieser
Baum ein strenges, aus der Umwelt heraus-
geschnittenes, in sich behütetes Gebilde.
Heute wird der Baum immer mehr Teil der
Umwelt, und wir- gestalten die Verbindung
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