Eröffnung
Am 23. Juli wurde in Stuttgart die Ausstellung
„Die Wohnung" durch den württembergischen
Staatspräsidenten Bazille eröffnet.
Der Anspannung aller beteiligten Kräfte ist es zu
danken, daß die Ausstellung an diesem Tage trotz
aller Unfertigkeiten besichtigungsfähig war und
den Besuchern der Eröffnungsfeierlichkeit bereits
einen starken Eindruck vermitteln konnte. Wenn
man vorher hörte, daß die Ausstellung auf drei
verhältnismäßig weit auseinanderliegende örtlich-
keiten verteilt wird, so mußte man es als einen
großen Nachteil ansprechen. Aber nun kann man
sich mit diesem Nachteil versöhnen, denn gerade
die örtliche Trennung bewirkt, daß man für jeden
Teil neue Aufmerksamkeit mitbringt.
Wir. wollen heute kein abschließendes Urteil über
diese Ausstellung fällen, zumal wir das Septem-
berheft in erweitertem Umfang ganz diesem
Thema widmen. Es soll nur der erste Eindruck
wiedergegeben werden.
Den Hauptteil der Ausstellung stellt die Siedlung
auf dem Weißenhof dar. Fremd steht sie zu dem
Villenviertel der Anfahrtsstraße von Stuttgart mit
ihrer traditionellen Architektur. Aber für sich ge-
sehen, breitet sie sich auf dem Hang mit über-
raschender Selbstverständlichkeit aus. So selbst-
verständlich gruppieren und lagern sich nur mit-
telalterliche Stadtteile und primitive südländische
Bauten. Es sind keine interessanten Bilder gebaut.
Landschaft, Terrainunlerschiede, Sonne, Licht und
Luft sind mitbeteiligt an dieser Schöpfung. Sie
sind die lebendigen Mächte, in die sich der Bebau-
ungsplan von Mies van der Bohe und jedes ein-
zelne Haus eingefühlt haben. So bekommt die
Siedlung etwas von einem Organismus. Alles wird
selbstverständlich und untergeordnet. Das scheint,
wenn nicht alles täuscht, das wichtigste und wohl-
tuende Ergebnis der Stuttgarter Siedlung zu sein,
daß es den heutigen Revolutionären in der Bau-
kunst nicht um dogmenhafte Prinzipien geht, daß
sie nicht starr am Schlagwort kleben, sondern sich
ganz bescheiden dem Leben und den Bedürfnissen
unterordnen. Dennoch weisen sie weiter; aber
nicht in formalen Elementen, sondern in dem
Willen, eine neue Lebensform zu zeigen, die eine
Versöhnung mit den Mächten unserer Zeit dar-
stellt, die von vielen noch als Feinde aller Lebens-
kultur angesehen werden: Technik, Industrie und
Bationalisierung.
Ohne Zweifel wird vieles kritisiert werden können.
Im einzelnen werden sich Fehler ergeben, aber
dazu ist die Siedlung gebaut. Sie ist ein Experi-
ment und ohne Experimente gibt es keine Ergeb-
nisse und keinen Fortschritt. Bei mancher der
Beden, die gehalten wurden, wurde immer wieder
ängstlich die Versicherung gegeben, diese Tat sei
kein Abschluß, sondern ein Versuch. Will man
durch diese Versicherungen die Kritik aufhalten?
Die Tatsache dieser Siedlung wird eine Reibungs-
fläche für die Meinungen werden. Man soll sich
doch stark und eindeutig hinter die Gesinnung
stellen, aus der diese Bauten entstanden sind, denn
EINFAMILIENHAUS VON LE CORBUSIER, PARIS
daß das Experiment wichtigste Resultate bringt,
daß es eine Tat von großer kultureller Bedeutung
ist, wird kein fortschrittlicher Mensch bezweifeln
können.
Die Plan- und Modellausslellung soll eine Ergän-
zung der Siedlung sein und den Blick auf die
Generation von Architekten lenken, die in allen
Ländern sich ehrlich und aufrichtig zur neuen
Architektur bekennen. Man hat gerade hier ganz
stark den Eindruck, daß es sich bei diesen Führun-
gen nicht um einen Stil im allen Sinne handelt,
der sich auf eine bestimmte Formensprache stützt
und von ihr ausgeht, sondern daß diese Bauge-
bilde aus der Struktur unserer Zeit und dem
Wesen der besonderen Bauaufgaben entsprungen
sind. Dieser Teil soll, wie Mies van der Bohe in
seiner Eröffnungsrede betont hat, zeigen, daß das,
was auf dem Weißenhof zu sehen ist, nicht eine
Modeerscheinung unseres Landes ist, sondern eine
Bewegung, die sich in der ganzen Welt anbahnt.
Es ist sehr verdienstlich, daß man hier Abbildun-
gen und Pläne dieser Gruppe aus allen Ländern
einmal in bester Übersicht nebeneinander sieht.
In der Gewerbehalle sind Hausgeräte, technische
Einrichtungen des Hauses und Mobiliar ausgestellt.
Auch hier spürt man die Gesinnung, die in der
Auswahl rücksichtslos nur Gutes und Bestes hat
durchgehen lassen. Lilly Reich, die für diese Aus-
stellung verantwortlich zeichnet, hat der Ausstel-
lung einen Rahmen gegeben, wie er nicht zurück-
haltender und glücklicher gedacht werden kann.
Die Beschriftung von Willy Baumeister fügt sich
glänzend in diesen Rahmen ein. Mit weißen Wän-
251
Am 23. Juli wurde in Stuttgart die Ausstellung
„Die Wohnung" durch den württembergischen
Staatspräsidenten Bazille eröffnet.
Der Anspannung aller beteiligten Kräfte ist es zu
danken, daß die Ausstellung an diesem Tage trotz
aller Unfertigkeiten besichtigungsfähig war und
den Besuchern der Eröffnungsfeierlichkeit bereits
einen starken Eindruck vermitteln konnte. Wenn
man vorher hörte, daß die Ausstellung auf drei
verhältnismäßig weit auseinanderliegende örtlich-
keiten verteilt wird, so mußte man es als einen
großen Nachteil ansprechen. Aber nun kann man
sich mit diesem Nachteil versöhnen, denn gerade
die örtliche Trennung bewirkt, daß man für jeden
Teil neue Aufmerksamkeit mitbringt.
Wir. wollen heute kein abschließendes Urteil über
diese Ausstellung fällen, zumal wir das Septem-
berheft in erweitertem Umfang ganz diesem
Thema widmen. Es soll nur der erste Eindruck
wiedergegeben werden.
Den Hauptteil der Ausstellung stellt die Siedlung
auf dem Weißenhof dar. Fremd steht sie zu dem
Villenviertel der Anfahrtsstraße von Stuttgart mit
ihrer traditionellen Architektur. Aber für sich ge-
sehen, breitet sie sich auf dem Hang mit über-
raschender Selbstverständlichkeit aus. So selbst-
verständlich gruppieren und lagern sich nur mit-
telalterliche Stadtteile und primitive südländische
Bauten. Es sind keine interessanten Bilder gebaut.
Landschaft, Terrainunlerschiede, Sonne, Licht und
Luft sind mitbeteiligt an dieser Schöpfung. Sie
sind die lebendigen Mächte, in die sich der Bebau-
ungsplan von Mies van der Bohe und jedes ein-
zelne Haus eingefühlt haben. So bekommt die
Siedlung etwas von einem Organismus. Alles wird
selbstverständlich und untergeordnet. Das scheint,
wenn nicht alles täuscht, das wichtigste und wohl-
tuende Ergebnis der Stuttgarter Siedlung zu sein,
daß es den heutigen Revolutionären in der Bau-
kunst nicht um dogmenhafte Prinzipien geht, daß
sie nicht starr am Schlagwort kleben, sondern sich
ganz bescheiden dem Leben und den Bedürfnissen
unterordnen. Dennoch weisen sie weiter; aber
nicht in formalen Elementen, sondern in dem
Willen, eine neue Lebensform zu zeigen, die eine
Versöhnung mit den Mächten unserer Zeit dar-
stellt, die von vielen noch als Feinde aller Lebens-
kultur angesehen werden: Technik, Industrie und
Bationalisierung.
Ohne Zweifel wird vieles kritisiert werden können.
Im einzelnen werden sich Fehler ergeben, aber
dazu ist die Siedlung gebaut. Sie ist ein Experi-
ment und ohne Experimente gibt es keine Ergeb-
nisse und keinen Fortschritt. Bei mancher der
Beden, die gehalten wurden, wurde immer wieder
ängstlich die Versicherung gegeben, diese Tat sei
kein Abschluß, sondern ein Versuch. Will man
durch diese Versicherungen die Kritik aufhalten?
Die Tatsache dieser Siedlung wird eine Reibungs-
fläche für die Meinungen werden. Man soll sich
doch stark und eindeutig hinter die Gesinnung
stellen, aus der diese Bauten entstanden sind, denn
EINFAMILIENHAUS VON LE CORBUSIER, PARIS
daß das Experiment wichtigste Resultate bringt,
daß es eine Tat von großer kultureller Bedeutung
ist, wird kein fortschrittlicher Mensch bezweifeln
können.
Die Plan- und Modellausslellung soll eine Ergän-
zung der Siedlung sein und den Blick auf die
Generation von Architekten lenken, die in allen
Ländern sich ehrlich und aufrichtig zur neuen
Architektur bekennen. Man hat gerade hier ganz
stark den Eindruck, daß es sich bei diesen Führun-
gen nicht um einen Stil im allen Sinne handelt,
der sich auf eine bestimmte Formensprache stützt
und von ihr ausgeht, sondern daß diese Bauge-
bilde aus der Struktur unserer Zeit und dem
Wesen der besonderen Bauaufgaben entsprungen
sind. Dieser Teil soll, wie Mies van der Bohe in
seiner Eröffnungsrede betont hat, zeigen, daß das,
was auf dem Weißenhof zu sehen ist, nicht eine
Modeerscheinung unseres Landes ist, sondern eine
Bewegung, die sich in der ganzen Welt anbahnt.
Es ist sehr verdienstlich, daß man hier Abbildun-
gen und Pläne dieser Gruppe aus allen Ländern
einmal in bester Übersicht nebeneinander sieht.
In der Gewerbehalle sind Hausgeräte, technische
Einrichtungen des Hauses und Mobiliar ausgestellt.
Auch hier spürt man die Gesinnung, die in der
Auswahl rücksichtslos nur Gutes und Bestes hat
durchgehen lassen. Lilly Reich, die für diese Aus-
stellung verantwortlich zeichnet, hat der Ausstel-
lung einen Rahmen gegeben, wie er nicht zurück-
haltender und glücklicher gedacht werden kann.
Die Beschriftung von Willy Baumeister fügt sich
glänzend in diesen Rahmen ein. Mit weißen Wän-
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