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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 2.1927

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Pechmann, Günther von: Bayerische Spielwarenindustrie
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https://doi.org/10.11588/diglit.13210#0378

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die zunehmende Fabrikation von mechani-
schem Spielzeug zurückzuführen. Das
kleine bemalte Holzpferd ist aus der Kin-
derstube und dem Kinderherzen mehr und
mehr verdrängt worden durch das Klein-
auto aus gestanztem Blech und durch die
metallene Lokomotive.

So scheint die künstlerische Gestaltungs-
kraft zurücktreten zu müssen, welche einst
als Volkskunst die reizvollen Holzspiel-
waren hervorgebracht hat. Nur spärliche
Reste sind noch am Leben in den oberbaye-
rischen Schnitzorten, in Oberammergau und
Berchtesgaden; dort leben noch Schnitzer-
familien, deren Erzeugnisse Jahrhunderte
hindurch eng verknüpft waren mit dem far-
benfreudigen, formenreichen Leben des
südbayerischen Volkes. In den Geschäften
dieser Orte herrscht auch das mechanische,
industriell erzeugte Spielzeug vor, und von
dem wunderbaren Reichtum an künstleri-
schen und handwerklichen Einfällen, wie
ihn die Ortsmuseen bergen, ist die Gegen-
wart weit entfernt.

Auf dem Produktionsgebiet des moder-
nen mechanischen Spielzeuges ringen zwei
Tendenzen um die Herrschaft: die eine
sucht durch möglichste \ erbilligung der
Erzeugnisse die Konkurrenz zu verdrängen;
sie ist notwendig qualitätsverschlechternd.
Die andere sucht durch möglichst solide
und geschmackvolle Ausführung den Markt
zu gewinnen; sie wirkt qualitätssteigernd.
Wie wichtig die Qualitätssteigerung auf
diesem Gebiet ist, das zeigen die vortreff-
lichen Modelle von Eisenbahnen, welche
heule schon in Amerika erzeugt werden.
Es ist eine Frage von großer volkswirt-
schaftlicher Bedeutung, ob sich in der deut-
schen Blechspiclwarenindustrie die Erkennt-
nis durchsetzt, daß auch bei der Fabrika-
tion mechanischen Spielzeugs, seien es nun
billige Blechspielwaren oder hochwertige
Modelle von Eisenbahnen und anderen
Werken der Technik, ein gebildeter Ge-
schmack sich in Formgebung und Farben-
wahl äußern und dadurch das Ansehen der
Produktion steigern kann.

Die Puppenwelt ist von den Wandlungen
geistiger Art, von dem Hervortreten sport-
licher und technischer Interessen, am wenig-
sten berührt worden. Die Herstellung von
Puppen wird immer mit einem sicherblei-

benden Markt rechnen dürfen, wenn sie es
versteht, sich dem Geschmack der Zeit an-
zupassen und der leicht beweglichen Mode
in Gestalt und Kleidung zu folgen. In
Bayern hat die Herstellung von Puppen
ihren Hauptsitz in Neustadt bei Coburg und
den angrenzenden Bezirken, ein Produk-
tionsgebiet, das ursprünglich mit der Son-
neberger Spielwaren-Industrie zusammen-
hing und durch den Anschluß Coburgs an
Bayern diesen Zusammenhang aufgab. Die
Entwicklung der Puppenindustrie in den
letzten zwei Jahrzehnten zeigt deutlich,
welch starke Impulse einem ganzen Wirt-
schaftszweig durch die schöpferische Tätig-
keit einzelner künstlerischer Persönlichkei-
ten gegeben werden können. Die Arbeiten
von Käthe Kruse, Marion Kaulitz, in letz-
ter Zeit von Lenci in Turin haben der deut-
schen Puppeninduslrie Anregungen ge-
geben, deren Spuren überall zu finden sind.
Die Zersplitterung der Industrie in eine
große Anzahl kleiner und kleinster Betriebe
erschwert es, künstlerischen Kräften einen
unmittelbaren Einfluß auf die Produktion
zu ermöglichen.

Neben der großen wirtschaftlich organi-
sierten Industrie haben sich in neuer Zeil
jene Werkstätten entwickelt, welche vor-
wiegend künstlerische Ziele verfolgen. Wie
auf dem Gebiet der Keramik gleichzeitig
mit dem Rückgang der bäuerlichen Töpfer-
kunst die neue Form der künstlerisch gelei-
teten Töpferwerkstätte aufzukommen be-
gann, so haben sich auf dem Gebiet der
Spielwarenherslellung ganz persönlich ge-
leitete Werkstätten und Ateliers entwickelt.
Auch die Werkstätten einzelner Schulklas-
sen, wie etwa der Staatlichen Kunstgcwer-
beschulen München und Nürnberg, ge-
hören zu dieser Art von Betrieben. Ihre
materielle Bedeutung für die Wirtschaft
mag gering erscheinen, um so größer ist ihr
Wert als Stätten des Versuchs und des
künstlerischen Experiments. Ob ihre Pro-
duktion im Gegensatz zum Rationalismus
der Industrie die schöpferische Einzellei-
stung betont oder ob sie sich unmittelbar
mit den Problemen maschineller Formung
befaßt, in solchen persönlich geleiteten
Werkstätten können schöpferische Kräfte
um Ausdruck ringen in Ernst und Spiel.

G. v. Pechmann

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