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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 29.1918

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Jaumann, Anton: Die Jagd nach dem Außerordentlichen
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https://doi.org/10.11588/diglit.10022#0084

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6S

FNNEN-DEKORATION

ARCH. HE1NR. ST RAUMER —BERLIN

»HAUS R. IN FROHNAU« SEITENANSICHT

DIE JAGD NACH DEM AUSSERORDENTLICHEN

Das Interesse der Menschheit schwankt nach irgend
einem noch nicht genauer formulierten Gesetz zwi-
schen den Extremen. In der Modebewegung ist dies be-
sonders auffallend: Dem engen Rock folgt nicht etwa der
normalweite, sondern der 7 Meter-Faltenrock. Der große
Hut wird entthront von der winzigen Kappe. Die Mode
beschränkt sich aber durchaus nicht auf das Kleid der
Frau. »Man trägt« heuer Weltschmerz, darauf folgt mit
Sicherheit ein sinnenfroher Realismus. Der Materialismus
mit seinem krassen Unglauben wird abgelöst von Christian
Science und franziskanischem Kinderglauben.

So geht es in der gesamten Geistesgeschichte und
nach diesem Gesetz allein lassen sich einigermaßen Prophe-
zeiungen aussprechen.

Im Gebiet der »angewandten Künste« stehen wir nun
nach diesem Gesetz vor einem neuen Ausschlag des Pen-
dels. Was wir, in Architektur und Kunstgewerbe, zuletzt
gesucht haben, war das Typische. Wir hatten großes
Reinemachen und machten einen tiefgreifenden Gesun-
dungsprozeß durch. Die Bewegung ging vom Geschmink-
ten, Geputzten, Gefälschten auf das Echte, Gesunde und
Typische. Man suchte im Bau, Raumkunst und Geräten
überall nach den aus Material, Technik und Zweck hervor-
gehenden Urformen, nach den Bildungen, die eben Mate-
rial, Technik und Zweck am deutlichsten und einfachsten
ausdrückten. Aus dem Echten und Einfachen zum Typi-
schen und von da zum Monumentalen, das war die Entwick-
lung, um die sich alle vorwärtsstrebenden Kräfte mühten.
— Ehe diese Bewegung noch vollkommen abgeschlossen

ist, kündigt sich schon die entgegengesetzte Tendenz an:
Die Suche nach dem Außerordentlichen. Man
findet den Typus arm. Er läßt sich zwar ins Monumentale
steigern, aber auch dadurch wird er nur vergrößert, nicht
in sich reicher. Und unser Empfinden hat an Bauten und
Denkmalen eher zu viel von »Monumentalität«. Kompli-
zierten Menschen, wie wir nun einmal sind, kam das Ein-
fache zwarzurErholungundSammlungwillkommen. Aber
auf die Dauer ist es uns eben zu einfach und »reizlos«
und der künstlerische Gestaltungstrieb findet, wenn die
typischen Lösungen einmal gefunden sind, kein Feld mehr
zur Betätigung. Was als Gesundung gedacht war, ver-
fällt der Langeweile und wird gehaßt.

So begann die Reaktion allmählich mit dem Stöbern
in Altertümern, man suchte mit Vorliebe nach Dingen, die
abseits lagen von der Hauptstraße der Kunstgeschichte.
Man sammelt exotische Merkwürdigkeiten, die so ver-
schieden sind von den normalen Erzeugnissen unserer
Kultur. Und nach und nach dringt die neue Bewegung
auch in unsere eigene künstlerische Arbeit ein. Nicht daß
mit einemmal die Mauern schief gesetzt würden — dieses
Mißverständnis ist in Bahlsens Keksfabrik verkörpert.
Oder daß die Möbel kopfstehenden Kristallen gleichen,
wie's die böhmische Gruppe in Köln versucht hatte. Nein,
zunächst ist man vorsichtig. Die Sucht nach dem Außer-
ordentlichen äußert sich hauptsächlich in der Bevorzugung
von Gegenständen, die an sich eine bizarre Gestalt haben.
Die ehedem weggeschlossenen Musikinstrumente müssen
jetzt die besondere Note in den Raum bringen. Wer wird
 
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