INN EN-DEKOR ATIÖN
289
prof. oeoro schreyogg—karlsruhe. monumentalplastik »flora« STIFTUNG DES KOMME RZIENRATS DR. STRAUS—KARLSRUHE
DIE BEDEUTUNG DES KUNSTSAMMELNS
Der leidenschaftliche Sammler, der alle Kräfte an
seine selbstgewählte Aufgabe setzt, erlebt zugleich
die Freuden des Künstlers und des Forschers.
Die Tätigkeit des Sammlers hat vor andern Bildungs-
mitteln voraus, daß sie Kräfte entwickelt. Kräfte der
Sinne, des Geistes und der Seele. Und dadurch erwei-
tert sie die ursprünglich einseitige Freude am Besitz um
eine Unendlichkeit. Die Erschließung der Wissenschaft,
die Erweckung schlummernder Kräfte bewirken eine solche
Bereicherung des ganzen Daseins, daß der Sammler, der
es ernst nimmt, zu den glücklichsten Menschen gehört.
In der künftigen Bildung unseres Volkes, für die wir
neue Grundlagen zu suchen uns anschicken, werden
die Museen aller Art als Bildungsstätten eine wichtige
Ergänzung zu dem historisch-philologischen Wesen der
Schulen und Universitäten bieten, weil sie zu den Dingen
führen oder von den Dingen ausgehen.
Und darin werden sie helfen, das Bildungsideal für
unser Volk fruchtbar zu machen, das Goethe uns vor-
gelebt hat. Sein Wissen war das Gegenteil vom Wort-
wissen, überall hat er den festen Untergrund der Sach-
lichkeit gesucht. . . . Goethes Haus in Weimar nimmt
durch die Schätze, mit denen sein Hausherr als Sammler
es angefüllt hat, nicht den letzten Rang unter den deut-
schen Museen ein. Es war für Goethe nicht die Aus-
füllung einer Muße, nicht nur eine angenehme Neben-
beschäftigung, sich in seine kostbare Sammlung der
frühen italienischen Medaillen, seine Zeichnungen und
Stiche zu vertiefen; er fühlte und sprach es aus, daß er
hier und in der Beobachtung der Natur und der Menschen-
welt sein Eigenstes und Höchstes, seine Sprachkraft,
bildete und stärkte, daß dieses sein höchstes Vermögen
unmittelbar auf der starken Anschauung ruhte. Als ein
Jüngling, der mit einer Empfehlung zu Goethe kam, ihm
die naive Frage vorlegte, wie er es angefangen habe,
einen so schönen Stil zu schreiben, da nahm Goethe es
nicht komisch, sondern gab ihm eine Antwort, die die
Erfahrung seines Lebens und die Erkenntnis der tiefsten
Quellen seiner Kraft zusammenfaßte: »Ich habe die Dinge
auf mich wirken lassen«.........alfred lichtwark.
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prof. oeoro schreyogg—karlsruhe. monumentalplastik »flora« STIFTUNG DES KOMME RZIENRATS DR. STRAUS—KARLSRUHE
DIE BEDEUTUNG DES KUNSTSAMMELNS
Der leidenschaftliche Sammler, der alle Kräfte an
seine selbstgewählte Aufgabe setzt, erlebt zugleich
die Freuden des Künstlers und des Forschers.
Die Tätigkeit des Sammlers hat vor andern Bildungs-
mitteln voraus, daß sie Kräfte entwickelt. Kräfte der
Sinne, des Geistes und der Seele. Und dadurch erwei-
tert sie die ursprünglich einseitige Freude am Besitz um
eine Unendlichkeit. Die Erschließung der Wissenschaft,
die Erweckung schlummernder Kräfte bewirken eine solche
Bereicherung des ganzen Daseins, daß der Sammler, der
es ernst nimmt, zu den glücklichsten Menschen gehört.
In der künftigen Bildung unseres Volkes, für die wir
neue Grundlagen zu suchen uns anschicken, werden
die Museen aller Art als Bildungsstätten eine wichtige
Ergänzung zu dem historisch-philologischen Wesen der
Schulen und Universitäten bieten, weil sie zu den Dingen
führen oder von den Dingen ausgehen.
Und darin werden sie helfen, das Bildungsideal für
unser Volk fruchtbar zu machen, das Goethe uns vor-
gelebt hat. Sein Wissen war das Gegenteil vom Wort-
wissen, überall hat er den festen Untergrund der Sach-
lichkeit gesucht. . . . Goethes Haus in Weimar nimmt
durch die Schätze, mit denen sein Hausherr als Sammler
es angefüllt hat, nicht den letzten Rang unter den deut-
schen Museen ein. Es war für Goethe nicht die Aus-
füllung einer Muße, nicht nur eine angenehme Neben-
beschäftigung, sich in seine kostbare Sammlung der
frühen italienischen Medaillen, seine Zeichnungen und
Stiche zu vertiefen; er fühlte und sprach es aus, daß er
hier und in der Beobachtung der Natur und der Menschen-
welt sein Eigenstes und Höchstes, seine Sprachkraft,
bildete und stärkte, daß dieses sein höchstes Vermögen
unmittelbar auf der starken Anschauung ruhte. Als ein
Jüngling, der mit einer Empfehlung zu Goethe kam, ihm
die naive Frage vorlegte, wie er es angefangen habe,
einen so schönen Stil zu schreiben, da nahm Goethe es
nicht komisch, sondern gab ihm eine Antwort, die die
Erfahrung seines Lebens und die Erkenntnis der tiefsten
Quellen seiner Kraft zusammenfaßte: »Ich habe die Dinge
auf mich wirken lassen«.........alfred lichtwark.