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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 29.1918

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Gleichen-Rußwurm, Alexander von: Kleiderart und Bauweise
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https://doi.org/10.11588/diglit.10022#0153

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XXIX. JAHRGANG.

DARMSTADT.

MAI 1918.

KLEIDERART UND BAUWEISE

VON ALEXANDER VON GLEICHEN-RUSSWURM

Der innere Zusammenhang zwischen Mode und
Architektur ist vielleicht noch nicht genug
betrachtet worden. Wenn man diesen Zusammen-
hang nachdrücklich erwägt, entdeckt man, daß die
scheinbare Verschrobenheit der Mode im Lauf der
Jahrhunderte nicht so durchaus unlogisch und un-
berechenbar auftrat, wie ein oberflächlicher Blick
auf die Kostüme vermuten läßt und daß die
äußere Erscheinung des Menschen, wie naturnot-
wendig, mit den allgemeinen Richtlinien des je-
weiligen Stils in der Baukunst zusammenhängt.
Auch auf diesem scheinbar nur der Laune unter-
worfenem Gebiet ist ein mächtiges Streben nach
Harmonie vorhanden.

Das sprunghaft Unruhige der Kleidertrachten
im letzten Jahrhundert hängt innig mit dem sprung-
haft unruhigen Wesen der Bauten zusammen, die
bald von diesem, bald von jenem Stil alter Zeiten
borgten und ihn mit mehr oder weniger Glück
wiederholten. Von der Warte des Gegenwärtigen
aus gesehen, ergibt sich bei den großen Stilepo-
chen eine geradezu feierliche Ubereinstimmung
mit der jeweiligen Bauart in der allgemeinen Linie
und auch im kleinsten Schmuckteil. Man träume,
wie grotesk die Ritterdame mit hochstrebender
burgundischer Spitzhaube und wappengesticktem

engen Schleppkleid auf moderner Straße anmuten
würde, ganz abgesehen von den technischen Un-
möglichkeiten den neuzeitlichen Fahrgelegenheiten
gegenüber. Allein man träume die Wunder der
Gotik in der äußeren Architektur und dem Innen-
raum, ihr Gebälk, ihre Spitzen und Spitzbogen, ihre
Schlankheit, ihre heraldischen Rosen und Tiere.
Diesen Dingen ist die Tracht auf das innigste ange-
paßt und gleichsam innerlich mit ihnen verbunden.

Kleidertracht, Gestaltung der Bauten nach außen
und innen geht im Mittelalter von einem gemeinsa-
men Grundgedanken und Ideal höchst deutlich aus.

So war das antike Stadtbild mit den Menschen,
die es belebten und der antike Wohnraum mit
den Menschen, die ruhten oder ein- und ausgingen,
in vollendetem Einklang gewesen. Rhythmisch wie
eine schöne Säule, wie ein edler Pilaster stand
und ragte die wohlgewandete Frau; es war nichts
leichter, als eine Gewandstatue zum Giebelschmuck
zu verwenden, mit ihr eine Nische angenehm zu
beleben, aus ihr eine Tragfigur, eine Karyathide
zu machen, sei es für äußeren, sei es für inneren
Wandschmuck. Die Lebendigen, die da lehnten
oder trugen, gaben ständig Vorbild und Anregung.
Man träume dagegen die Krinoline in einen an-
tiken Tempel. Das Genügen an Maßschönheit der

1918. T. 1.
 
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