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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 29.1918

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Jaumann, Anton: Der Arme Künstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.10022#0146

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130

INNEN-DEKORATION

IN HOLZ GESCHNITZTE TÜRFÜLLUNGEN

DER ARME KUNSTLER

Alle Warnungen sind vergeb-
f\. lieh. Die Kunst lockt mit
ihren geheimnisvollen Reizen und
immer wieder drängen sich Un-
bemittelte zu ihr, ungeachtet der
üblen Erfahrungen, die tausend
andere gemacht haben. Du er-
zählst von Not und Elend, in die
begabteste Künstler verfallen sind,
von der geringen Aussicht auf
Erfolg bei dem heutigen Betrieb
auf dem Kunstmarkt, von schwe-
ren und nutzlos aufreibenden
Kämpfen — alles nützt nichts.

W. NIDA RÜMELIN-PASING BEI MÜNCHEN

Die Kunst ist eine Flamme, die verzehrt. Zahllos sind
ihre Opfer — aber immerhin, die Flamme lockt, und so-
lange unser sonstiges Erwerbsleben so nüchtern, öde
bleibt, nichts ist als ewiggleiche Tagesfron im Dienste
des Mammon, wird die Kunst auf alle, die dieses Kröten-
leben verabscheuen, eine ungeheure Anziehungskraft aus-
üben. Der junge Mensch, dessen Phantasie quillt und
loht, dessen Sinne nach Schönheit hungern, in dessen
Blut die Miasmen des Fiebers schwärmen, ihm ist die
Kunst die babylonische Versucherin, die mit seltenen
Reizen und Lüsten lockt.
Drei verhüllte Frauengestal-
ten führt sie an der Hand,
die sind ihr Köder. Die Frei-
heit — von der Fron der
Geschäfts- oder Handarbeit
— den Ruhm und die Wol-
lust am künstlerischen Schaf-
fen. Die wenigsten erwarten
Reichtümer, die Aussicht auf
große Einnahmen soll nur die
Familie, die Verwandten be-
ruhigen. Darum schreckst du
die heranstürmende Jugend
auch nicht durch den Hin-
weis auf den geringen Durch-
schnittsverdienst des Künst-
lers. Das A und O bleibt,
es ist ungeheuer reizvoll, in
der Kunst zu leben und Kunst
zu schaffen, diese Genüsse
kannst du dem Künstler nicht
rauben, solange er noch Farbe
und ein Stück Leinwand oder
seine Geige hat. Wer von
der bittern Süße der Kunst
genippt hat, ist ihr verfallen.
Sie ist eine grausame Ge-
liebte und bringt denen, die
sich ihr ergeben, mehr Pein
als Glück. Aber sie kommen
von ihren Reizen nicht los,
je mehr sie enttäuscht wer-
den, desto mehr sehnen sie
sich und hoffen. — Der arme
Künstler ist vom sozialen Ge-

W. NIDA RÜMEHN. FASSADENSCHMUCK IN MUSCHELTRASS

sichtspunkt aus eine Verirrung. Aber der Psychologe
versteht ihn sehr wohl. Es gibt Menschen, deren Ideale
sind ein festes Einkommen, ein ruhiges Heim, gut Essen
und Trinken. Diese werden sich der Kunst nicht ergeben.
Nur wer die Stürme der Leidenschaf t, die Erschütterungen
der Seele, das durstige Beben und heiße Lecken der
Sinne nicht scheut, nicht die süße Pein des Schaffens und
die Erschöpfung nach qualvollem Ringen, nur der ist be-
stimmt für den Dienst der Kunst, der kann ihr aber auch
nicht entrinnen. — Man sagt, nur wer Vermögen hat,

dürfe Kunst studieren. Sonst
vermehre er nur das schon
allzu zahlreiche Künstlerpro-
letariat. Mir scheint, der Fall
liegt gerade umgekehrt. Wer
Kapital besitzt, kann seinen
Schaffens- und Genußhunger
schließlich auch auf andern
Gebieten, in geschäftlichen
Unternehmungen, in indu-
strieller Produktion befrie-
digen. Gerade die Armut
treibt viele zur Kunst, weil
ihnen das Leben sonst nichts
zu bieten hat. Die Überfül-
lung in unsern geistigen Be-
rufen ist mit dem Kapitalis-
mus eng verbunden. Die
Menschen mit bauschöpferi-
scher Phantasie können, wenn
sie kein Vermögen besitzen,
nichts anderes werden, als
Architekt, technische und
künstliche »Berater«. Wer
ohne Vermögen seine geisti-
ge Begabung betätigen will,
muß Arzt werden oder Tech-
niker oder Lehrer oder Dich-
ter. Den Reichen lockt die
Spekulation, den Armen die
Kunst, die Literatur. So sind
dermalen die Reizungen ver-
teilt. Und der Lebenshunger
ist in unserer Periode der
Reizsamkeit doch nichts an-
deres als ein Hunger nach
 
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