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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 29.1918

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Zimmermann, Ernst: Verschiedenart künstlerischen Empfindens, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10022#0228

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212

INNEN-DEKORATION

AUS DEM »SCHABBELHAUS«—LÜBECK

BAROCKZIMMER MIT BLICK ZUR DIELE

VERSCHIEDENART KÜNSTLERISCHEN EMPFINDENS

VON PROFESSOR DR. E. ZIMMERMANN. (SCHLUSS)

Es ist jedoch klar, daß ebenso, wie auf dem Gebiet der
Musik die natürliche Veranlagung des Menschen die
verschiedensten Abstufen zeigt und nicht nur ganz un-
musikalische Menschen hoch musikalischen gegenüber-
stehen, auch auf dem der auf das Auge wirkenden Künste
sich eine große Mannigfaltigkeit der Veranlagungen offen-
baren muß. Auch hier gibt es der Zwischenstufen
zwischen den beiden äußersten Gegensätzen genug und
darnach wird sich auch das Verhalten der Menschen
gegenüber den Werken der Kunst richten. Hier freilich
kann Schulung und Übung vielfach ausgleichend wirken
und manche schwächliche Veranlagung bedeutend ver-
bessern helfen. Doch auch bei denjenigen, die durch
Anlage, Erziehung oder Beruf zu gleicher Stufe künst-
lerischer Erkenntnis haben gelangen können, wird, wer
viel Gelegenheit gehabt hat, diese auf ihr Verhalten
gegenüber künstlerischen Erzeugnissen zu prüfen, die
merkwürdigste Verschiedenheit in diesem Verhalten fest-
stellen können. Er wird hier oft vor Rätseln stehen, für
die er nicht gleich die Lösung finden wird. Und doch
dürfte diese Beobachtung keineswegs unerklärlich sein.
Man vergesse nicht, daß die Menschen in Gattungen aus-
einanderfallen, die von Natur aus ein ganz verschiedenes
Empfindungsvermögen besitzen, darum auch, da Kunst

in erster Linie Empfindungssache, gleichen künstlerischen
Erscheinungen gegenüber sich ganz verschieden verhalten
müssen. Sie können nicht anders, sie müssen, mögen
ihre Augen auch immer das Gleiche schauen, dies Gleiche
zufolge ihres verschiedenen Empfindungsvermögens an-
ders empfinden, es darnach auch anders schätzen und
bewerten. Sie müssen bei dem, was ihrer Empfindungs-
art entgegenkommt, mildere Richter sein, beim Gegen-
teil strengere. Sie werden im ersteren Falle sich leichter
in das Kunstwerk versenken, es leichter verstehen und
durchschauen, indeß sie im zweiten sich leichter von ihm
abwenden und darum ihm gegenüber garnicht zu Ver-.
tiefung kommen. So wird hier stets in etwas die Ob-
jektivität der Beobachtung fehlen, damit auch die Ge-
rechtigkeit der Beurteilung, und ewig wird so das Urteil
schwanken, als Zeugnis, daß auch das Empfinden des
Menschen nur Stückwerk ist.

In dieser Beziehung ist zunächst auf den Unterschied
von Mann und Weib hinzuweisen. Kein Mensch wird
leugnen, daß deren Empfindungsleben ein ganz verschie-
denes ist. Ein jeder weiß auch, worin bei beiden der
Unterschied besteht. So wird auch ein jeder den Gegen-
satz ihres künstlerischen Empfindens verstehen, wenn er
prüft, wie der Mann sich kleidet und wie die Frau, wie
 
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