Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 29.1918

DOI Artikel:
Utitz, Emil: Künstler und Handwerker
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.10022#0267

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
INNEN-DEKORATION

251

wurden zuerst eingegangen. Umschreibend darf man
vielleicht sagen: der große Künstler wurde hoher Hof-
beamter. Ihm lächelte die Gunst der Könige und des
Adels. Sie waren Besteller, sie gaben die Aufträge.
Aber vieles ward erzeugt ohne Bestellung und ohne Auf-
trag. Das emporblühende Ausstellungswesen verschaffte
die Verkaufsmöglichkeit. Und so ward langsam die letzte
Freiheitsstufe erklommen: der nach allen Seiten hin un-
abhängige Künstler, der schafft, »wie der Vogel singt«.
Heute haben Titel wie »Hofmaler« meist einen fatalen
Beigeschmack. Am geläufigsten ist uns eben der Typus
des ganz auf sich gestellten Künstlers. Er hat sich durch-
gesetzt. »Künstler« klingt uns wie eine Art Adelsbrief.
Und in unseren Tagen streben viele darnach, ihn zu er-
reichen: der Tischler, der seine Werkstatt zum Atelier
für Innendekoration umgestaltet; der Gärtner, der den
akademischen Titel eines Gartenarchitekten sich bei-
legt; der Photograph, der Bildniskunst pflegt. Sie alle
wollen teilhaben an dem Glänze, in dem Kunst sich
sonnt, jene Erhöhung über das Handwerk erzielen, um
die einst Maler und Bildhauer rangen.

Aber diese Siege waren — wie wir heute wissen —
keine ganz reinen Siege. Es floß viel Blut, und es blieben
Wunden, die ungeheilt sind. Jene Laufbahn, die in Ruhm
einmündet, ist eine große Verführerin, die lockt und ver-
lockt. Das riesige Künstlerproletariat ist die schwarze
Kehrseite des lichten Aufstieges zur Höhe, und Freiheit
heißt da in vielen Fällen nur Wurzellosigkeit, Gelöstheit
von Erfordernissen und Aufgaben des Lebens. Wehmütig
stiehlt sich oft der Blick in vergangene Zeiten, da der
Künstler in einer großen Gemeinschaft wirkte, deren
Forderungen Rechnung tragend. Und diese Forderungen
erschienen nicht als äußerliche Befehle, denen nur durch
Überwindung Gehorsam gezollt werden konnte, sondern
meist liegend in der Linie eigenen Fühlens und Sinnens,
weil gleicher Boden Künstler und Auftraggeber trug. —
Die Mißstände unseres modernen Kunstlebens sind zu
bekannt, als daß es nötig wäre, sie eingehend zu be-
sprechen. So wie jene früherer Epochen letzthin auf die
gefesselte und niedrige Stellung des Künstlers zurück-
gingen, entquellen sie jetzt dem Sonderrang des Künstlers,
der nur seiner Kunst lebt, ohne um die Bedürfnisse des
Lebens sich zu bekümmern. Lange, erregte und viel-
seitige Diskussionen galten oder gelten dieser leidigen
Frage. Brauchbare und weniger brauchbare Mittel zur
Abhilfe wurden genannt. Den Kern traf schon der un-
vergleichliche Alfred Lichtwark, als er in einer 1909
geschriebenen Abhandlung bewies, daß meist der junge
Künstler in lauter Unwirklichkeiten lebt. Und er zieht
den zwingenden Schluß: »Helfen kann dem Künstler nur
er selber, wenn er sich fest auf den Boden der Wirklich-
keit stellt und unerschrocken die Dinge mit ihrem Namen
nennt, auch sich selber. Er ist nicht der Ausnahme-
mensch, für den er sich hält, in zehntausend Fällen nicht
ein einziges Mal. Er hat keinerlei Anspruch zu erheben,
sondern sich einzuordnen. Er hat sein Leben praktisch
und nüchtern zu führen wie jeder andere Bürger. Am
besten sieht er sich als Handwerker an und sucht sich
seine Kundschaft.«

Da erklingt also wieder das harte Wort: »Hand-
werker«, das Jahrhunderte lang das soziale Elend des
Künstlerstandes besiegelte. Und es ist nicht Philister-
mund, der kenntnislos und leichtfertig es ausspricht, son-
dern mit klarer Bewußtheit und aller Folgen eingedenk

sagt es der Mann, dem deutsches Kunstleben so viel ver-
dankt wie kaum einem zweiten. Soll nun der Kreis ge-
schlossen werden: aus Enge zur Freiheit und wieder
zurück zur Bindung, die längst überwunden schien? Ge-
wiß nicht: den echten Fortschritt will niemand antasten;
aber Auswüchse müssen beschnitten werden, die nie-
mandem nützen, nur vielen schaden. Auch sind wir jetzt
vielleicht so weit, das Erbe vergangener Zeiten — so
wunderlich es auch manchmal erscheinen mag — nicht
gleich als »überholte Barbarei« mitleidig zu belächeln,
sondern das Echte und Gültige in ihm zu finden, keines-
wegs zu Zwecken der Nachahmung, wohl aber als Mittel
der Belehrung und Anregung.

Ist denn heute »Handwerk« — obgleich es auf das
Wort gewiß nicht ankommt in einer Zeit, welche die
mechanische Kasten- und Zunftgliederung nicht kennt —
etwas so Niedriges? Sicherlich nicht. Da die grobe, un-
geistige Arbeit die Maschine übernommen hat und immer
mehr übernehmen wird, da Fabrikationstechnik in großen
Massen und tadellos unzählige Dinge erzeugt, um die
früher das Handwerk sich mühte, bleibt diesem ein
engeres, aber meist auch höheres Feld: das der feinsten
Qualitätsarbeit, die individueller Behandlung bedarf, ja
dieser ihren Reiz und Wert dankt. Der handgemachte
Anzug ist schon vornehmer als der fertig gekaufte. Und
bei Möbeln, Spitzen, Stichen usw. bedeutet die Kenn-
zeichnung, sie seien mit der Hand geschaffen, stets einen
Ehrentitel. Und darum muß sich niemand schämen:
Kunsthandwerker zu sein. Er leistet wichtige Arbeit und
dient ehrlich der Kunst. Der Literat kann meist auch
nicht von seinen Gedichten oder Dramen leben; er ist
Journalist, Dramaturg, Verlagsleiter usw., und wenn seine
rein künstlerische Arbeit so viel abwirft, daß sie ein an-
ständiges Dasein sicherstellt, gibt er erst den praktischen
Beruf auf. Und auch die Mehrzahl unserer Romane und
Dramen ist Unterhaltungsliteratur, und es ist gut, wenn
sie diese Aufgabe mit Geschmack und Bildung pflegen.
Der Musiker wirkt im Orchester, ist Dirigent, gibt Stun-
den usw., und lediglich wenige gönnen sich den Luxus,
nur zu komponieren. Diese Durchsetzung der Berufe mit
künstlerischen Begabungen ist ein Glück; denn nur so
befruchtet Kunst das Leben, und das Leben immer wie-
der die Kunst. In Malerei und Plastik geht aber die
meiste Energie an jene Ausstellungsware verloren, die
niemand wünscht und niemand will. Der den realen Be-
dürfnissen des Lebens treu und gewissenhaft dienende
Kunsthandwerker, das ist das Ziel, das allgemein an-
gestrebt werden sollte. Und diesem Ziel müßte auch die
ganze Ausbildung Rechnung tragen; Erziehung zum prak-
tischen Kunstberuf. Das bedeutet keine fesselnde Kette
für jene Ausnahmen, die über dieses Niveau sich erheben.
Sie steigen auf gleich Dichtern und Musikern in eine
Sphäre, deren Sinn das Schaffen in reiner Selbstherrlich-
keit ist. Und die Welt horcht auf die Werke, die da
in der Einsamkeit wachsen und werden. Die Genies sind
aber dünn gesäet; und es ist tragikomisch, wenn jeder
genialisch sein will und die Existenzbedingungen des
Genies für sich in Anspruch nimmt. Am Anfang stehe
die Tat! Nur sie kann überzeugen. Genie zu fordern,
wäre Wahnwitz: es ist da oder es ist nicht da. Aber
eine Umlagerung der Künstlerorganisation vermag uns
anstatt zahlloser in Ateliers verstaubender Werke eine
Fülle von Arbeiten zu bescheren, die das Leben reich
und tief machen und auch ihren Schöpfer beglücken, e. u.
 
Annotationen