Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 13.1897-1898

DOI Artikel:
Herbert, Wilhelm: Hinterm Berge: eine Malergeschichte
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.12047#0041

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
26

kfinterm Berge.

finden — wenn ich erst den Berg noch habe, kann's
losgehen!" — —

Seit Ries im Hause war, traf Olga den echten
Jodler noch einmal so schön.

„Es jubelt ihr nur so aus dem Herzen heraus!"
dachte Frau Müller. Ihr gütiges Mutterauge erkannte
die Sache bald, wie sie stand, und weil ihr Ries als
ein braver junger Künstler wohl gefiel, beschloß sie ins-
geheim, den Herzensbund der beiden zu fördern.

s». Georg. Viktor Tilgner kcc.

Leider wurde der Berg' gar bald fertig und Ries
mußte, wohlbedankt und zum Besuche eingeladen, das
Haus verlassen.

Jetzt saß vr. Müller glückselig oben, dichtete und
inspirierte sich an der kühnen Alpenlandschaft, die der
junge Künstler vor ihn hingezaubert hatte.

Eines Abends, als durchs offene Fenster die würzige
Gartenluft hereindrang und die Abendröte Papier und
Feder des Schreibenden übergoß, begann er an einer
großen Liebesscene.

Er fühlte sich gerade recht beim Zeug. Die Feder
eilte über den Bogen. Lenz, der Försterssohn, der arme
Teufel, der nichts als seine Büchse hatte und seine

feurigen zwei Augen, die den Dirndeln ins Herz hinein-
sahen, stand wie lebendig vor ihm.

„Woaßt', Loni", sagte er eben zu der reichen Bauern-
tochter, die ihm oben beim „Marterl" am Waldrand ein
Stelldichein gab, „woaßt', mir is's net um dein Geld
— mir wär's lieber, du wärst a arm's Waiserl, dös
i in mei' Hütt'n aufnehma kunnt, wie's geht und steht!
Aber so kommen wir Zwoa nia z'samm'! Dei' Vater
und deine Brüder — die hoamlicheu Wildschützen —
haben an Haß auf mi' —"

Jetzt mußte Loni reden, sie mußte ihm versichern, daß
Liebe alles überwindet, daß der Widerstand der Eltern —

Da klopfte es.

Olga trat mit glühenden Wangen ein.

„Papa!" rief sie und flog auf ihn zu.

„Weg — weg!" antwortete er mit ungewohnter
Heftigkeit und streckte den Arm gegen sie aus. „Ich
kann dich jetzt absolut nicht brauchen — marsch, hinter
den Berg!"

Olga wollte noch einmal sprechen —

„Hinter den Berg!" rief er kategorisch und erstaunt,
gekränkt, mit fiebernder Ungeduld zog sie sich hinter die
Leinwand zurück.

War doch Ries gekommen, hatte beim Mütterchen
angeklopft und wollte nun — da diese ihre Hilfe zu-
gesichert — vor dem gewaltigen Widersacher selbst er-
scheinen, um sich Olgas Hand zu erbitten. Diese war
ihm vorausgeeilt, um dem Vater alles einzubekennen,
ihn mit Bitten und Schmeicheleien zu bestürmen —

Und nun mußte sie hinter der Leinwand sitzen,
mußte an sich halten, wenn sie ihn nicht erzürnen und
alles auf das Spiel setzen wollte.

vr. Müller war in der nächsten Minute schon
wieder ganz von seinem Stoffe beherrscht. Wie's einem
beim vollständigen Aufgehen in einer Arbeit vorkommt,
vergaß er ganz auf seine Umgebung. Er murmelte halb-
laut, seine Linke agierte und sein lebendiges Mienenspiel
spiegelte die Empfindungen der Liebenden wieder.

Lenz schlang den Arm um das Dirndl, das ihm
geschworen hatte, ihn nie zu verlassen; er beugte sich
über sie und sah in ihre treuen blauen Augen.

Ries, der dreimal vergeblich geklopft hatte, trat ein.

Er räusperte — er hustete — Müller hörte nichts,
sah den feierlichen Frack und Zylinder nicht — für ihn
existierten nur Lenz und Loni, sonst niemand.

„Herr Doktor", sagte der junge Maler jetzt.

Da stampfte der Dichter mit dem Fuße auf. „Ich
Hab' keine Zeit — für niemand — für nichts — hinter
den Berg!" rief er nervös.

Ries stutzte einen Augenblick, dann verschwand er
lautlos hinter der Leinwand.

Müller dichtete weiter.

Das Liebesgespräch seiner zwei Hauptpersonen war
im besten Gange.

Jetzt neigte der Bursche das liebliche Köpfchen des
Dirndls an seine Schulter und preßte ihr einen innigen
Kuß auf die Lippen.

Ein „schnalzendes Bußl" hieß das in der Gebirgs-
sprache.

Müller horchte auf.

„Merkwürdig!" murmelte er. „Wie alle Sinne
Mitarbeiten, wenn man so recht inspiriert ist — mir
war's förmlich, als hätte ich das Bußl gehört!"
 
Annotationen