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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 13.1897-1898

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Hann, Pauline: Löwen auf der Flucht: eine Künstlergeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.12047#0078

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Löwen auf der Flucht.

Line Aünstlergeschichte.
von P. Dann.

n Krummdorf, dem neugegründeten Kurort für harm-
lose Nervenleiden, fuhren Männlein und Weiblein
wie Schwalben beim Dachfeuer durcheinander. Näherte
man sich einer der eifrig summenden, flüsternden und
beratenden Gruppen, dann schlugen einem Brocken wie
Illumination, Serenade, Festbankett ans Ohr. Ja sogar
das imposante Wort Regatta ließ sich vernehmen, denn
Krummdorf sonnte sich in dem Besitz von drei Fischer-
booten und einem großen Teich, den man aus Courtoisie
einen Alpensee benamsete.

„Wenn man schon nichts Regierendes haben kann",
meinte der Kurdirektor, „dann sind ein paar Künstler
von Gottes Gnaden unbezahlbar."

„Gewiß", pflichtete ihm der Badearzt bei. „Die
Zukunft unseres Kurortes ist gesichert, sobald die Zei-
tungen melden: ,Der berühmte Porträtmaler Professor
Reinhold Stifter ist in Krummdorf von seiner nervösen
Abspannung vollständig geheilt worden und widmet sich
wieder im Vollbesitz seiner Kraft der Künste Und auch
diese Notiz wird Effekt machen: ,Die gefeierte Wilda,
der neue Stern, der das Opernpublikum in Wien als
Walküre und Isolde entzückte, hat die Uebermüdung, an
welcher sie gegen Ende der Saison litt, durch den Kurge-
brauch in Krummdorf vollkommen überwunden'. Glauben
Sie mir, das ist wertvoller als Analysen und ärztliche
Empfehlungen."

Man glaubte ihm. Der Tag, der für eine Be-
grüßungsfeier festgesetzt worden, brach an. Aber noch
ehe die Sonne über die hohen Berge hinaufgekommen
war, schlich sich, scheu wie ein Uebelthäter, ein Mann
mit einem tief in die Stirne gedrückten Schlapphute aus
dem „Bayerischen Hof" und verschwand im Walde, der
sich hügelan hinter dem Gasthof hinzieht.

Und zur selben Stunde schlüpfte eine sehr schlanke
blasse Dame durch eine Hinterthüre der „Reichskrone"
und zog einen dichten weißen Gaze-Schleier vors Ge-
sicht, der sie ebenso vor einem künftigen Sonnenstrahl
wie vor einem etwaigen Späher beschützte.

Der Mann murmelte, während er wie ein geübter
Bergsteiger die Höhe erklomm, schadenfroh:

„Eine Theaterprinzessin ist so etwas gewöhnt und
dagegen abgehärtet. Sie soll die Wonne dieses Tages
allein genießen."

Auch die Dame führte ein Selbstgespräch. Es klang
sonderbar gereizt.

„Für den Lorbeer giebt er alles auf. So mag er
denn auch die bittern Beeren daran allein essen."

Auf der einsamen Waldhöhe begegneten sie sich.

Reinhold Stifter, der weiberscheue Murrkopf, der
er ist, wollte, nachdem er leicht den Hut gerückt, an
der Fremden Vorbeigehen. Aber sie war stehen ge-
blieben; der Pfad war so schmal, daß er ihr Kleid
streifen mußte. Sie nahm es zusammen und bog sich
zurück. Eine ebensolche Bewegung hatte vor zehn Jahren
eine unvergessene Person gemacht, als er von ihr ging.

Er redete die Dame an.

„Irre ich nicht, dann darf ich in Ihnen Nummer

zwei der geflohenen Löwen, meine Genossin im Elend,
begrüßen."

„Ich bekenne mich schuldig, aus der Arena ent-
wichen zu sein. Ich wollte Ihnen keinen Eintrag thun",
entgegnete sie.

Der Klang ihrer Stimme ließ ihn aufhorchen, wobei
er wie suchend die Brauen zusammenzog.

„Und ich bin aus Rücksicht für Sie entwischt. Ich
gönnte Ihnen ungeteilt Redeblumen und Weihrauch-
wolken."

„So haben wir beide nach dem christlichen Grund-
satz gehandelt, ,was du nicht willst, das man dir thu,
das schiebe deinen Nächsten zu', sagte sie lachend. „Ich
hoffe nur, daß sie da unten ihr Begrüßungsfest zu Ende
feiern werden, ohne uns einzufangen."

„Ich war in Krummdorf, als es noch kein reklame-
bedürftiges Bad, sondern nur ein herrlicher, verschwiegener
Waldwinkel mit unzähligen Motiven für das Skizzen-
buch eines angehenden Malers war", versetzte Stifter,
„vertrauen Sie sich meiner Führung an, und ich bürge
Ihnen dafür, daß wir nicht aufgespürt und zurückgeholt
werden."

Sie folgte ihm, ohne zu zaudern. Nach etwa ein-
stündiger Wanderung, die sich manchmal zu einem hals-
brecherischen Klettern gestaltete, empfing sie wie eine stille
Bucht eine, von hohen alten Tannen eingefriedete, Wald-
wiese. Es hätte nicht einsamer um sie herum sein können,
wenn sie das letzte überlebende Menschenpaar auf Erden
gewesen wären.

Fräulein Wilda setzte sich auf die trockenen Nadeln
unter einem mächtigen Baume. Er warf sich , unweit
von ihr zu Boden hin und schleuderte, tief aufatmend,
den Hut fort:

„Ah, welch ein behagliches Gefühl das ist, der
Gefahr entronnen zu sein!" rief er.

„Sie sind offenbar kein Freund von Opferfesten?"

„So wenig wie Sie selber."

„O ich", versetzte die Sängerin schalkhaft, „ich bin
in meine Löwenhaut noch nicht so recht hineingewachsen,
für mich besitzt sie den Reiz der Neuheit, und so freue
ich mich zu Zeiten an Weihrauchfässern, Blumensträußen
und zu meinem Preis geschwungenen Champagnerkelchen."

„Und warum ließen Sie heute diese Requisiten der
Löwenverehrung im Stich?"

Trotz des Schleiers sah er, daß sie verwirrt die
Augen niederschlug.

„Ich kam nicht nach Krummdorf, um mich in den
Strudel von Festlichkeiten zu stürzen", sagte sie rasch.
„Man hat auch manchmal Anwandlungen, ein beschau-
liches Einsiedlerleben zu führen, auszuruhen, mit der
Vergangenheit abzurechnen."

Er heftete seine durchdringenden Maleraugen auf
sie. Das feine seidige Gewebe lag noch immer wie
eine Maske über ihrem Gesichte. Aber er konnte unter-
scheiden, daß es länglich, schmal und feingeschnitten war,
und daß ein paar dunkle Augen fast zu groß daraus
hervorleuchteten.
 
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