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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 13.1897-1898

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Kirchbach, Wolfgang: Das Modell, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12047#0180

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Das Modell, von lvolfgang Kirchbach.



runde Kinderköpfchen, kleine germanisierte Wenden-
nachkömmlinge, während er selbst einen ganz ausgeprägt
thüringisch-deutschen Kopf hatte. Aber was ihm durch
nähere Beobachtung lieb geworden war, das war seiner
Jllustratorenphantasie so fest eingeprägt, daß er nun un-
willkürlich alles auf dieselbe Manier stimmte. Eine
andre Gattung von Zeichnern aus der Zeit Richters kennt
man an ihren Spitzfüßen. Man hatte eine Manier, Mit
ein paar Strichen so einen Fuß sehr hübsch aus dem
Knöchelansatz heraus-
zuzeichnen. Auf Ni-
belungenbildern hatte
man Menschen in
Schnabelschuhen und
Spitzstrümpfen dar-
stellen müssen und
bald geschah es, daß
alle Mcnschenfüße
selber zu Spitzfüßen
wurden und auch die
Proportionen eine
Art von Schlangen-
menschcngeschlecht
bildeten. Wilhelm
von Kaulbach schuf
sich in anderer Weise
einen solchen Typus
natürlicher Linien-
schönheitcn. Zweifel-
los empfindet jeder-
mann auf die Dauer,
wenn er das Werk
eines solchen phan-
tasievollen Illustra-
tors ansieht, eine ge-
wisse Eintönigkeit der
vorüberwandelnden
Gestalten. Im wirk-
lichen Leben, be-
sonders im Leben
unserer völkerverbin-
denden Eisenbahn-
zeit, mischen sich die
Rassen und Typen
bunter. Der Künst-
ler, der das Modell
bei solchen Aufgaben,
schon aus Gründen
der Zeit, nur spär-
lich benutzen kann, überträgt leicht sogar gewisse Eigen-
gefühle seines persönlichen Körperbaues in alle seine
Gestalten. Jeder phantasievolle Maler weiß, wie er sich
beim Entwürfe einer Stellung, einer Positur, einer
Muskelausladung unwillkürlich aus seinem eigenen Körper-
gefühl innerlich die Sache konstruiert. Es ist vor-
gekommen, daß Maler einer ganzen Anzahl von Figuren
immer ihre eigene Nase angesetzt haben, ohne es eigentlich
selbst zu wissen. Und mancher, der mit „Hanteln" sich
seinen Biceps gestählt oder auch nur durch das tägliche
Halten der Palette gewisse Muskelpartien gebildet hat,
bringt nun diesen wohlgestählten Biceps überall an, wo
er irgend kann. Andere, die aus ihren anatomischen
Studien eine besondere Vorliebe für den Deltamuskel

gefaßt haben, benutzen jede Gelegenheit, wo sie diesen
Muskel an Männlein und Weiblein möglichst heraus-
geschnellt zeigen können. Diese Vorliebe beobachtet man
z. B. an Cornelius, der oft die unorganischesten weib-
lichen Gestalten schafft, um ihnen einen wahren Turner-
delta auf den Rücken zu pflastern, wie man ihn höchstens
an Cirkusschwingerinnen sieht, wenn sie am Trapez etwa
sich mit den Armen „auskugeln", oder andere Muskelkünste
verüben. Eine solche gelegentliche Beobachtung, eine

solche Erinnerung an
den Akt oder den
Anatomiesaal wird
dann überall mitge-
schleppt als eine Art
Cliche der Phantasie.

Nun tritt zweifel-
los zu alledem, einer-
lei, ob der Künstler
viel oder wenig Mo-
dell benutzt hat, ob
er aus der Vorrats-
kammer seiner Phan-
tasie schöpft, oder
seine Modelle benützt,
um seinen Gestalten
eine verklärte Indi-
vidualität und eine
größere Realität
gleichzeitig zu ver-
leihen , noch ein
anderes Bedürfnis
hinzu, welches be-
wirkt, daß selbst Ge-
stalten so modell-
treuer Künstler, wie
van Dyks, allen eine
gewisse Familienähn-
lichkeit anhaftet. So
verschiedene Lebens-
typen wir Raffael
Sanzio verdanken, so
wird man doch z. B.

innerhalb seiner
farnesinischen Ge-
staltenwelt auch eine
gewisse körperliche
Familienähnlichkeit
aller Figuren beob-
achten, wie man es
auch bei Rubens sieht. Nun, hier wirkt zweifellos
ein inneres Bedürfnis harmonisch-architektonischer Art,
welches auf geheimnisvollen Gesetzen der Komposition
beruht. Man denke sich irgend eine Gestalt des Rubens,
etwa seine Venus vom Parisurteil in den Olymp des
Raphael versetzt. Man denke sich den Theseus des
Phidias neben die „Aurora" des Michel-Angelo als
Pendant in die Medicäerkapelle gestellt. Diese Wesen
würden vollständig nebeneinander Herausplatzen; sie würden
gar nicht zu einander passen und lächerlich wirken. Un-
willkürlich werden für jeden komponierenden Künstler,
und mag er auch nur das kleinste Genrebild komponieren,
die Gestalten ein gewisses feinorganisches Gesetz korrespon-
dierender Formen annehmen, ganz abgesehen von Rasse,

von Wilhelm L-ibl.

vi- «unst für Alle XIII.


 
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