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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 13.1897-1898

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Kirchbach, Wolfgang: Das Modell, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12047#0181

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IZ8

Das Modell, von lvolsgang Airchbach.


Umgebung, ganz abgesehen^auch von persönlichen Manieren
des Künstlers. Denn unwillkürlich werden die organischen
Lebensbedingungen der Gestalten diesem Ornamental-
gesetze jeder harmonischen Wirkung unterworfen. Wir
können, wenn wir ein Ornament zeichnen, dasselbe nur
aus ganz bestimmten Grundzügen entwickeln; im Rhythmus
dieser Züge liegt die Wirkung des Ornamentes, in seinen
Scheinwidersprüchen und Wiederherstellungen. Der Fries,
das Relief eines Bildhauers unterliegt demselben Gesetz.
Menschliche Körper, deren Formen, zufolge bestimmter
Proportionen, auch ein anderes ornamentales Liniengesetz
enthalten, kann man nicht zusammenschweißen, ohne das
rhythmische Gefühl zu beleidigen. Wo Gestalten mit
sieben Kopflängen der Typus sind, kann man nicht ohne
weiteres, ohne ganz be-
sondere kompositionelle
Vermittlungen, einen Kerl
von neun Kopflängen da-
zwischen setzen. Der wirkt
sonst wie ein Hampelmann;
man glaubt ihn nicht.

Neben eine wohlgenährte
Venus von Rubens kann
man keine stellen, deren
Schlankheit einen anderen
fremdartigen Rhythmus
mit den ovalen Linien
ihres Leibes hineintragen
würde, wie etwa eine Ge-
stalt von Makart. —

Im Gegenteil, wir
empfinden es sofort als
eine Verletzung unseres
harmonischen Gefühls,
wenn wir, wie es oft auf
Akademiebildern angehen-
der Künstler der Fall ist,
ein Modell sozusagen wört-
lich ins Bild übertragen

sehen. Oft kann man auch auf gewissen
historischen Kostümbildern so eine Figur
sehen, welche aus einer fremden Welt
hcreingekommen ist, weil der Künstler es
nicht verstanden hat, Formen, Farben und
alle die Eigentümlichkeiten, welche er der
Natur absieht, einem allgemeineren Formen-
rhythmus seiner Gestalten anzupassen. Stil
nennt man jene unbewußte rhythmische Kunst
des Malers und Bildhauers, welche die
wirklich augeschaute Schönheit des Modells
so in das Kunstwerk überträgt, daß dieses
sein eigenes organisch-architektonisches Ge-
setz enthält. Den schönsten, den kraftvollsten
Stil haben aber zweifellos immer diejenigen
Künstler erreicht, die, gleich den Griechen,
auch das intimste Anschauungsverhältnis zur
Natur, zum gegenwärtigen Modell unter-
hielten. Die freie Phantasie wird leicht zur
Manier, zum Manierismus ausarten. Aber
es würde auf der anderen Seite heißen, die
Kunst ihres tiefsten Zaubers berauben, wenn
man jenen harmonischen Trieb der Künstler-
seele vertreiben wollte, der sich immer ge-
nötigt sieht, Gestalten aus einer naheverwandten Familie
zu schaffen.

-«XX) Aphorismen. vo<>^

Alles wahrhaft künstlerische schaffen, in dem die ganze
Gemütskraft eingesetzt wird, um das innerlich Geschaute zu
gestalten, ist ein Glaubensbekenntnis.

Wenn die schaffenden Aünstler sich überlegten, daß es für
sic ein wirkliches giebt: den empfindenden Geist, so verstummte
der streit über Naturalismus und Idealismus sehr bald.

Das Talent haben wir, das Genie hat uns.

National-Galerie, Berlin. Rastende Zigeuner.

von A. von ssettenkofen.
 
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