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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 13.1897-1898

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Vincenti, Carl Ferdinand von: Das Debüt der Wiener Secession
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https://doi.org/10.11588/diglit.12047#0316

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Das Debüt der lviener Secession, von Karl v. vincenti.

2-tS



intimen Modernität Knnst und Kunstgewerbliches zu einem
erlesenen Ganzen verschmilzt, ist nur neu für Wien, wo
man erst in jüngster Zeit, insbesondere bei der letzten
Ausstellung der Aquarellclubisten, die alte Schablone
durchbrochen hat. Man hat das richtige Jnterieurgefühl,
das zum Kunstgenüsse stimmt. Ein großer Gegner, Lenbach,
hat da im höheren Sinn den Weg ge-
wiesen. Die Secession überträgt seine
Anregungen gerne ins Modernste,
vorläufig noch stark Anglisierende,
dürfte jedoch bald ihr dekoratives Be-
dürfnis aus eigenem zu bestreiten in
der Lage sein.

Deutsche Führer und erste Namen,

Böcklin „Spiel der Wellen", Uhde
„Predigt am See", Thoma, Dett-
mann, Kuehl,Liebermann, Skar-
bina, Erler „Berlepsch-Porträt",

Hugo König, Zügel, Hölzel, sind
mit bekannten Bildern hervorragend
vertreten. Auch MaxKlingers köst-
lich phantastische Randzeichnungen zum
„Amor und Psyche"-Märchen sind
längst gewürdigt; sein nackter weib-
licher Akt „Am Strande" imponiert
durch die interessante Modellierung und Haltung, zeigt
jedoch den Maler Klinger nicht von der günstigsten Seite.
Herterichs tiefgestimmte „Ophelia" ist dagegen eines
der interessantesten Bilder der Ausstellung, sowie Stucks
bronzene „Amazone" ein klassisches Stück der Plastik.
Nahezu neu ist für Wien Segantini, ganz neu der Maler-
Bildner Fernand Khnopff, die Bildhauer Meunier, Rodin,
Bartholome. Für ihre Vorführung ist man der Se-
cession in erster Linie verpflichtet. Der merkwürdige
Wälschtiroler Segantini blieb im Künstlerhause un-
verstanden, seine nunmehrige Kollektiv-Ausstellung bringt
ihn den Wienern näher. Seine strähnige, pastose Relief-
malerei befremdete und nur Kenner waren entzückt über
das wundervolle Schneeflimmern auf dem Bilde der

„ Cattive
Madri". Bei
dem großen
Gemälde der
trinkenden
Kuh im Stalle
wirkte die
Technik zu
aufdringlich,
was jetzt bei
demselben! j
Vorwurf in
Kleinformat
nicht der Fall
ist. Segan-
tini giebt sich
dem oberfläch-
lichen Be-
trachter nicht,
man muß sich
in seine Kunst
hinein-
schauen, die
Zidus s-c. nicht allein

in der Einsamkeit der hohen Alpenwelt, sondern auch
selbst auf einsamer Höhe steht. Hinter dem anscheinenden
Virtuosen, der mit unvermittelt nebeneinandergesetzten
Spektralfarben zauberische Wirkungen erzielt, steht der
schwermütige Maler-Dichter, der uns unwiderstehlich in
seine große, ruhige Welt miteinzieht und mit ihrem großen
Odem erfüllt. Herz und Lungen weiten
sich in dieser dünnen Firnenluft, diese
flimmernden Alpenwiesen strömen ein
erfrischendes Lustgefühl aus, der Raum
vertieft sich, der Mensch wird still.
Aus dieser Welt herausgeboren, be-
rührt die Allegorie von der „Quelle
des Lebens", über deren von gräu-
lichem, kaulquappigem Wassergetier
starrenden Spiegel sich das nackte
^- Weib mit dem vorflutenden Haare
beugt, wie ein tiefsinniges Märchen.
Wie intim wirken dann wieder „Am
Spinnrad", „Rosenblatt" mit dem
- weichen Mädchenkopfe!

Auch des Bildner-Malers Meu-
lmschlagseit- zu Euer-. nier Kunst hat einen schwermütigen
. von jidus. Grundzug. Jst's dort auf den Alpen-

höhen Segantinis die Größe der
Natur, welche bedrückt, so ist's in der Grubenwelt
Meuniers das durch Kunst emporgehobene, gleichsam
entschlackte Menschenmühsal. In den Rahmen eines
lichtausgeschlagenen Kabinetts hat die Secession diese
düstere, temperamentvolle Kunst gefaßt. Jetzt, wo
Zola hier — Zola dort, denkt man sofort an Germinal;
Muther dachte schon früher daran. Schwarzbronzen
und rauchverfinsterte Pastelle; man sieht Schlote,
rußschwarze Menschen, Dächer, Bäume, Kohlengruben,
Schutt. Die Pastelltechnik erhebt sich zu seltener Kraft,
holt sich neue Töne aus den Schachten dieser schwarzen
Arbeitswelt und wetteifert, sie, die sonst so Anmut-
liebende, mit der harten Unerbittlichkeit dieser Schwarz-
bildnerei, die etwas vom Elende derer aus dem Ver-
schlechte Tubal Kains

erzählt. Auf Gruben- Ssrv-ss.

mensch und -Gaul,
auf Ackermann und

-Tier lastet hier die- ^ «

selbe finstere Wucht > I
und die Kunst Meu- ^ I ^

niers befreit das — cusms.

trotz Nietzsche — Köst-
lichste in uns: das
Mitleid. Es giebt
nicht viele Monu-
mentalplastik, die so
nachhaltig fortwirkt
wie diese Kleinstücke,
bronzegewordenes
Leben, das sich um
den unvergleichlichen
„Mäher" gruppiert,
der die Stirne zur
Scholle neigt. Der
größte „Mäher", der
Tod, ist auch da. Das

Weib, das sich^in jivu-e«.


Die Ullnst für Alle XIII.

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