Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 13.1897-1898

DOI Artikel:
Sebaldt, Käte: Lydia Veiteles
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.12047#0435

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
von Miriam Lck.


bedürftig — vergaß aber Wohl das Frühstück, oder war
der steten Wiederholung der Pensionskost müde.

Mein Herz wird warm bei der Erinnerung, drängt
deni tapfern, kleinen Geschöpf entgegen. Die Füße aber
werden schwerer und müder. Und siehe da — ich habe
mich verlaufen.

O, ich kann nicht mehr, ich will umkehren — ein
ander Mal. „Nein, nein", raunt derselbe Wille mir zu

— „heute — und schön aufpassen."

Nach mühevollem Gang erreiche ich die mir bekannte
Straße. War es Nummer 77 oder 74, wo sie ihr
Atelier hatte? Hin und her. Es fällt mir ein — cs
war 77. Kein Portier? Ein paar frische Knabeuköpfe
schauen zu den untersten Fenstern heraus. „Ist hier
kein Portier?" Sorgloses Lachen. „Nee, hier siebt et
Keenen." „Wohnt hier ein Fräulein Veiteles — Malerin?"

— „Det ich nich wißte — Ateliers sind oben — aber

— fragen Se man oben bei Herrn Lemke."

Ich beschließe selbst nachzusehn. Ja, kein Zweifel —
das ist dieselbe Treppe mit der merkwürdigen Windung.
Das Fenster, alles genau so. Ich hatte Lydia mehrere-
male besucht. Wie rührend fällt mir der kleine Zug
wieder ein. Vor vier Jahren. Sie hatte mir den
Mantel abgeuommen, und als sie ihn aufhängcn wollte,
gesehn, daß die Schlinge entzwei war. Ruhig und
selbstverständlich nahm sie ihn, während wir uns plaudernd
uiederließen, in ihre geschickten, winzigen Finger und der
Schaden war im Umsehn repariert. Wer von meinen
nicht emanzipierten Freundinnen hatte das je in dieser
Weise gethan? Mein Herz wird wärmer und wärmer
für Lydia. — Endlich bin ich oben und stehe still, um
das vom Treppensteigen verursachte Herzklopfen zu be-
ruhigen. Auf dem obersten Absatz bemerke ich einen
alten Arbeitsmann. „Sind Sie Herr Lemke?" Er nickt.
„Hier ist das Atelier von Fräulein Veiteles, — nicht
war?" Ich sehe an ihm vorüber die wohlbekannte Thür,
und meine Freude steigt.

„Fräulein Veiteles", sagt der
Mann und nickt wieder, und
weist mit der Hand auf die
eben in den benachbarten
Thürrahmen tretende Frau.

Ich wiederhole meine
Frage — die Frau nötigt
mich weiter ins Zimmer
hinein, ohne ein Wort, und
schließt die Thür. — —

„ Sie hat doch ihr Atelier
hier —?"

„Jehabt, jetzt hat et der
Maler Konisch."

„Wo ist sie denn hin-
gezogen?"

— — Wieder Still-
schweigen —. Tie Frau sicht
mich groß an. Eine schlichte
Frau mit einer innerlichen
Vornehmheit in den müden,
alten Zügen.

Es wird mir so sonder-
bar. —-

„Wissen Sie et denn
nich?"

„Nein, nichts, was soll ich denn wissen? Vor vier
Jahren habe ich sie öfter hier besucht."

„Se is dot." —

„Tot!? — — Nein, davon habe ich nichts gehört
— so jung — was hat ihr denn gefehlt?"

— — Wieder das unheimliche Stillschweigen. —

Ich sehe der Frau mitten in die Augen — und
da steht es geschrieben — das Furchtbare — das die
Lippen verweigern.

„Sie hat sich das Leben genommen?" flüstere ich.
Die Frau nickt.

„Aber wie ist es möglich? ich kann es nicht glauben;
das vernünftige, kluge kleine Geschöpf — gar nicht über-
spannt. — Nahrungssorgen?" meine Stimme war heiser
geworden. Schwer fiel mir mein unpraktisches Wesen
aufs Herz.

Warum hatte ich ihre vielen kollegialischcn Winke
und Ratschläge nicht honoriert wie sich's gehört hätte,
statt einer anderen Aufmerksamkeit — sie war wahrlich
klein genug —

„Nahrungssorgen?" die Frau schüttelt den Kopf.
Plötzlich besinnt sie sich; sie mustert mich von Kopf zu
Fuß und scheint mich ihres Vertrauens wert zu halten.
Erst mühsam, dann fließender geht ihre Rede.

„Et ging ihr ja knapp jenug. Aber se hatte doch
immerhin Schülerinnen — se mußte ja fast allens der
Mutter an Pension dervon abjeben. Na, überhaupt, de
Mutter nn de Schwester! die nutzten se aus un kecn
Herz haben se im Leibe. Aber se war ja immer janz
verjnügt. „Wenn ich nur ze arbeiten habe!" Bis vor
zwei Jahren in'n Sommer — wie se von Belgien is
zurückjekommen, wo se en Auftrag hatte — da war se
wie nmjewandelt. Se war doch immer so pinktlich
jewesen nn nn träumte se so vor sich, nn wenn ich in't
Atelier rein kam, um nach en Ofen zu sehn — saß se
mit de Hände uf'n Schooß un sah immer vor sich hin.
 
Annotationen