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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 13.1897-1898

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Sebaldt, Käte: Lydia Veiteles
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https://doi.org/10.11588/diglit.12047#0436

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Lydia veiteles.


„Sind Se krank, kann ich Sie wat besorjen, Fräulein
Veiteles?" — da fuhr se auf wie aus en Traum. „Nein,
nein, et kommt schon wieder, ich will wieder recht fleißig
sein." Un ich tröstete mich dann. Einmal frug ich se
auch, ob se Nahrungssorgen hätte. Da lächelte se janz
sonderbar un schittelte mit'n Kopf. Se wurde immer
unruhiger un sonderbarer; man war et an ihr so jar
nich jewöhnt.

Einmal, nachmittags, jejen Abend konimt se un sagt,
se wolle noch wat fertig malen, ob ich auch jeputzt hätte.
— Nach 'ner Weile Heere ich se umher schieben un
rumoren, et wird mer Angst un bang. Wohl zehnmal
war ich im Bejriff hereinzujehn, aber ich wollte ihr nich
mißtrauisch machen. Nach eener Stunde halte ich et
nich mehr aus. Ich mache de Dier auf. Un, ich denke
der Schlag sollte mich rihren. Jn'n Hut un Mantel,
wie se jekommen is, hängt se mit'n janzen Oberkerper
zum Fenster heraus. Ich ziehe ihr leise zerick un sage

janz harmlos, aber mit'n Herzklopfen in'u Halse: „Se
sollten sich nich so weit vorbiegen, se kennten en Unglick
haben." Se lacht un sagte — „ich wollte man en
bisken uf de Straße sehn" — dann reibt se sich mit
der Hand über de Stirn un sagt, se hätte Kopfweh un
wäre so müde. Ich sage „ja, ja, liebstes bestes Fräulein,
ruhen Se sich mal ene zeitlang janz aus — da sollen
Se mal sehn. Da sehn Se de Welt mit janz anderen
Augen an, et wird allens wieder besser" — und dabei
kriege ich ihre kleine Kinderhand ze fassen. Se schittelt
mit 'n Kopf; nach 'ner Weile sagt se: „Se haben Recht,
Frau Lemke, ich will mich en bischen ausruhen". Daniit
jetzt se un ich Here acht Dage jar nichts von ihr. Bis
uf einen Tag, wo ihre Schwester kömmt un sagt: „Se
wird morgen bejraben; se is an einer Lungenentzindung
jestorben in der Charite".

„An einer Lungenentzündung, det jesunde Freilein?!"

„Na, sagen Se man nischt, se hat ze Hause ene Flasche
Karbol jetrunken, da haben wer se nach
der Charite jeschafft. In zwei Dagen war
se dot."

— — — „Freilein" sagt die alte
Frau und ihre Lippen zittern „ich habe
'mer en Kränzchen bestellt und bin mit
zur Mutter jejangen; ich habe jewcint wie
en kleines Kind, aber die Frau hatte keine
Thränen. Dat Unanjenehme und dat Un-
bequeme un de Tochter, die et Jeld nich
mehr verdiente, jing er näher.

Du lieber Jott, et mag ja sin, det et
zum Schluß noch 'ne Lungenentzindung je-
wesen is — det des Jift de Lunge ver-
brannt hat. Et mag ja ooch sind, det et
manchmal jehapert hat. Dürftig waren se.
Aber det is et nich. — Seit se in Belgien
war! — Et war man 'ne Jüdin, aber se

war besser wie zehn Christinnen.-Seit

se in Belgien war!" —

Gedanken. Li-

Line irrende Seele. George von hoeßli.n pinx.

Münchener Jabres-Ausstellung 1898. — sskotograpbieverlag der j)hotogr. Union in München.

Von einem Kunstwerk verlangen wir vcr-
nnnftmäßigkeit, wie wir dadurch zeigen, wenn
wir cs einer kritischen Betrachtung unterwerfen,
daß wir unseren Genuß und unser Interesse daran
zu erhöhen suchen durch Aufspürung der Zweck-
mäßigkeit, des Zusammenhanges und des Gleich-
gewichts aller seiner einzelnen Teile. U)ir finden
cs desto reicher, je mehr es uns gelingt, uns die
Harmonie und Schönheit aller Einzelheiten klar
zu machen, und wir betrachten cs als Haupt-
kennzeichen eines großen Kunstwerkes, daß wir
durch eingehendere Betrachtung immer mehr und
mehr Vernnnftmäßigkeit im einzelnen finden, je
öfter wir cs an uns voriibcrgehen lassen und jo
mehr wir darüber Nachdenken. Indem wir durch
kritische Betrachtung die Schönheit eines solchen
lverkes zu begreifen streben, was uns auch bis
zu einem gewissen Grade gelingt, zeigen wir, daß
wir eine vcrnunftmäßigkeit in dem Kunstwerke
voraussetzen, die auch zum bewußten Verständnis
erhoben werden kann, obgleich ein solches Ver-
ständnis weder für die Erfindung noch sür das
Gefühl des Schönen nötig ist. Denn in dem un-
mittelbaren Urteil des künstlerisch gebildeten Ge-
schmacks wird ohne alle kritische Ueberlcgung das
Schöne als solches anerkannt; es wird ausgesagt,
daß es gefalle oder nicht gefalle, ohne es mit irgend
einem Gesetz und Begriff zn vergleichen. Krimboitz.
 
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